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Hundsköpfe - Roman

Hundsköpfe - Roman

Titel: Hundsköpfe - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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Gedanken an Tod, Mord und Verkehrsunfall, wenn Anne Katrine mich in die Dunkelheit unter der Treppe zerrte, sich auf mich legte, so daß ich mich nicht mehr rühren konnte, und ich ihren warmen Atem spürte, während sie von Schiffen und tropischen Stränden flüsterte, von all den Orten, zu denen wir fahren müßten, von all dem Saft, den wir trinken sollten, und all den Hängematten, in denen wir liegen und faulenzen würden. »Wenn Knut kommt«, sagte sie, »dann nimmt er uns beide mit. Und niemanden sonst«, hickste sie, als würde meine rothaarige Kusine überhaupt nicht existieren. Und doch bemerkte die Trutsche, daß ich mich mehr und mehr in meine rothaarige Kusine verliebte.
    Sie begann, unter Liebeskummer zu leiden. Manchmal griff sie sich ans Herz, japste nach Luft, und in dem Raum unter der Treppe wurde ich Zeuge des unbehaglichen Anblicks einer Trutsche der Einhundertkiloklasse, die plötzlich erstarrte, vor Sauerstoffmangel einen roten Kopf bekam und ängstlich wimmerte, als würde ihr großes, dickes Herz bersten, nur weil ich ihr nun auf der Straße hinterherschrie – obwohl sie damit hätte leben können, wenn ich so umgänglich gewesen wäre wie früher, sobald wir die unwirkliche Welt des Kellers betraten. Aber ich war es nicht. Ich wurde gewalttätig und bockig. Ein Teil von mir fühlte noch immer eine gewisse Lust an dem verbotenen Kontakt mit dem wabbeligen Fett, aber der andere Teil trug einen wahren Kampf aus, um sich zu befreien.
    Wenn ich mich nicht den Umarmungen der Dunkelheit hingab, kämpfte ich mich also frei und rannte hinter Signe und Stinne her, die sich vor mir auf der Straße umdrehten und riefen: »Hau ab, mach, daß du nach Hause zu deiner blöden Tante kommst!«
    »Asger«, fügte Stinne in einem Ton hinzu, der meine rothaarige Kusine vor Lachen schier zusammenbrechen ließ, »eine Stunde ist in Ordnung, aber du gehst brav nach Hause, wenn er dich zu jucken beginnt.«
    Ja, so viel bergab , so viele Brüskierungen meiner aufkeimenden Sexualität, und im Viertel hausten noch immer die großen Jungen – die ich zusehends mehr fürchtete, weil der Strom meiner rotzigen Beleidigungen noch immer stetig floß. Und der Klub der Jäger war Anne Katrine allmählich auch leid. »Wenn sie kommt«, sagte Bjørn, »und andere Mädchen sind in der Nähe, dann verdrückst du dich gefälligst ganz still und leise.«
    Ja doch, mach ich schon , und als Kompensation begann ich, Lügengeschichten zu verbreiten und ein Netz von Hirngespinsten zu hinterlassen, wo immer ich mich auch aufhielt. Im Klub der Jäger erzählte ich, die Trutsche sei an Lungenentzündung erkrankt, obwohl sie an diesem Nachmittag aus einem der Büsche brach; hartnäckig behauptete ich, ich wäre von meinen Eltern adoptiert worden, erzählte auf dem Schulhof, daß ich bald eine längere Reise antreten würde, vielleicht nach Norwegen (als hätte ich es gewußt!), vielleicht bis in die Südsee – das wäre noch nicht entschieden, erklärte ich, und so kamen die Reisepläne des Sohnes eines Tages auch meiner Mutter zu Ohren, und sie rief mich hinaus in die Küche. »Nein«, log ich, »das habe ich nie gesagt.« Ich hatte auch nie gesagt, daß ich hinter dem Fahrradschuppen der Schule einen Kuß von meiner Kusine bekommen hätte, daß meine Tante an einer tödlichen Krankheit litt, mein Großvater während des Krieges Geheimagent war und mein Vater der reichste Mann der Stadt sei, auch nicht, daß ich mal auf dem Heimweg von der Schule von einer Rockerbande überfallen worden wäre … Besorgte Blicke wurden in der Familie gewechselt, Pläne hinter meinem Rücken ausgearbeitet, und in der Schule begannen meine Lehrer zu stutzen, denn geriet dieser ehemals so ruhige Junge nicht langsam auf die schiefe Bahn?
    Ungefähr zu dieser Zeit zog meine Großmutter während eines vorweihnachtlichen Abendessens eine zerknitterte Postkarte aus der Tasche und berichtete, daß Knut aus Jamaika zu Besuch kommen würde. Er, der geschworen hatte, nicht nach Hause zurückzukehren, bevor er stark genug wäre, um seinen Vater zu verprügeln; er, auf den ein bewundertes Dreigangfahrrad wartete; er, der seiner Schwester eine ewige Saftquelle unter dem Himmelszelt der Südsee versprochen hatte. Vierzehn Jahre hatte ihn niemand gesehen, und wer weiß, dachten wir, vielleicht kommt er nur, um sein Fahrrad zu holen …
    »Lirum, larum, Löffelstiel«, sagt Stinne, »diese Geschichte, die bringt nicht viel. Die dicke Tante starb an einem Herzanfall.

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