Hundsköpfe - Roman
sich tief verbeugte und nach Atem rang: »Der Steuermann ist gerettet, der Kapitän ist untergegangen, sieben Besatzungsmitglieder werden als vermißt gemeldet, acht wurden von den britischen Behörden gerettet, entschuldigen Sie, Frau Svensson, hätten Sie vielleicht ein Glas Wasser?«
Kurz darauf erschien Thorsten, rannte verwirrt in der Villa herum, mit Schweiß auf der Stirn und allen möglichen Verwünschungen und Flüchen auf den Lippen. Mutter Ellen nahm es gefaßter: »Wir haben doch noch sechs, Thorsten, beruhige dich.«
»Das trifft mich ins Mark!« brüllte Thorsten. »Das betrifft alles, man kann doch unter diesen Umständen keine Firma führen!«
»Und der Kapitän«, stöhnte er, »die Besatzung … die armen Familien!«
»Laß mich das machen«, entgegnete Ellen, riß dem stöhnenden Thorsten die Liste der Besatzungsmitglieder aus der Hand und verschwand damit. Als sie wiederkam, war es bereits dunkel, Thorsten hatte sich in sein Arbeitszimmer zurückgezogen, wo er nur dasaß und stumm in die Luft guckte. Im Wohnzimmer hörte der Rest der Familie zusammen mit Thor Radio. Askild hatte den ganzen Tag im Haus verbracht, aber weder mit Ejlif noch mit Bjørk über seinen vormittäglichen Besuch bei Thorsten gesprochen. Das Abendessen wurde schweigend eingenommen. Thor und Askild aßen mit, es fiel kein Wort, bis Thorsten sagte: »Ich muß mit Askild reden.« Bjørk guckte den beiden Männern überrascht nach, als sie im Arbeitszimmer verschwanden, und schickte Thor ein spöttisches kleines Lächeln. Im Arbeitszimmer, das mit Schiffszeichnungen und gerahmten Photographien der sieben Schiffe dekoriert war, wurde Askild gebeten, sich zu setzen. Diesmal wurde kein Sherry serviert, und nicht ein einziges freundliches Wort kam über Thorstens Lippen. Er sah Askild ernst an, dessen frische Examensurkunde noch immer in der Innentasche seines Anzugs steckte.
»Ich glaube, du weißt, worum es geht, Askild«, sagte Thorsten, »ich will dich hier nicht mehr sehen.«
Das war alles. Askild war schockiert, er saß Thorsten in einem Ledersessel gegenüber und glaubte, er hätte sich verhört.
»Aber wieso denn?« fragte er.
Thorsten erklärte, das wisse er doch genau. Außerdem hätte er im Augenblick wirklich Probleme genug und ginge davon aus, daß Askild nicht noch ein zusätzliches schaffen wolle. Als Thorsten Anstalten machte, sich zu erheben, brachte Askild stammelnd heraus, auch zehn wilde Pferde würden ihn nicht daran hindern, Bjørk zu sehen. Thorsten, der der Ansicht war, daß sie sich nichts mehr zu sagen hätten, bat ihn zu gehen, möglichst diskret. Er öffnete die Tür und scheuchte Askild aus dem Arbeitszimmer.
»Askild geht jetzt nach Hause«, erklärte er, als sie am Kaffeezimmer vorbeikamen.
Draußen im Flur kam es beinahe zu einem Handgemenge. »Nordlandpack!« brüllte Askild. »Verdammte Bauern!«
Thor stand auf und bat Askild, auf seine Ausdrucksweise zu achten. Askild bat ihn, die Klappe zu halten, sonst könne er sich ein paar Ohrfeigen einfangen, aber ernsthaft, zur Hölle und allen Teufeln noch mal, und eilige Schritte polterten an einem frühen Abend im Mai die Treppen der Patriziervilla am Kalfarvei hinunter. Die Vögel sangen. Askild war empört und hatte vor Erregung seine Jacke vergessen. Als er in die Håkonsgate kam, warf er sich resigniert aufs Bett. Er begriff nicht, wie dieser Tag, der so freundlich begonnen hatte, so niederschmetternd enden konnte. Er hatte schon beschlossen, in den Fröhlichen Zirkuswagen zu gehen, um sein Examen zu feiern, als die Witwe Knutsson an die Tür klopfte: »Ich habe ja gesagt, daß ich keine Damenbesuche auf dem Zimmer wünsche, aber Reeder Svenssons, du weißt schon, nur fünf Minuten, Askild, dann muß sie wieder gehen.« Witwe Knutsson wollte die Tür schon schließen, blieb dann aber doch noch einen Moment stehen, guckte Askild neugierig an und fügte hinzu: »Sie sagt, du hast deine Jacke vergessen.«
Als Thorsten sich nach dem Kaffee wieder in sein Arbeitszimmer zurückgezogen hatte, um wie ein Löwe im Käfig auf und ab zu wandern, hatte sich Bjørk mit Askilds Jacke unter dem Arm aus der Küchentür gestohlen und war den ganzen Weg bis zur Håkonsgate gelaufen, nun stand sie zum ersten Mal in Askilds Zimmer, das sie sich so oft vorgestellt hatte; ein wenig enttäuscht – das mußte sie zugeben – über den ersten schäbigen Eindruck: ein Bett, ein Schreibtisch, ein paar Regale und einige undefinierbar aussehende Säcke in einer
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