Hundsköpfe - Roman
aus, während er sich krümmt und den Bauch hält.
»Askild!« schreit Bjørk und springt auf; wie versteinert steht sie da, als wir, von ihrem Schrei alarmiert, ins Wohnzimmer stürmen.
»Was ist denn los?« fragt Stinne.
»Was fehlt ihm denn?« murmelt Signe.
»Wieso macht er das?« wimmere ich und habe einen schrecklichen Verdacht.
»Großvater hat Magenschmerzen«, sagt Vater beruhigend und beugt sich über ihn. »Kannst du etwas sagen, Papa?« fragt er und klapst ihm leicht auf die Wangen, »Papa, welcher Tag ist heute, kannst du dich daran erinnern?«
Großvater stößt noch einen röchelnden Laut aus und beginnt sich wie ein Dorsch zu winden, der an Land gezogen in der Sonne liegt und japst.
»Papa«, schreit Vater, »heute ist Sonntag, weißt du das?«
Da Großvater nicht reagiert, läuft Mutter zum Telephon, um einen Krankenwagen zu rufen. Onkel Harry kommt dazu und rät, Askild soll Wasser trinken, das ist gut gegen Magengeschwüre, einfach Wasser drauf, sagt er, und während sich alle über Großvater beugen und ihm eine ganze Kanne Wasser in seinen halb offenstehenden Mund schütten, halte ich es nicht länger aus.
»Da war Pipi drin!« brülle ich, weil ich doch weiß, wie alles zusammenhängt. Von meiner großen Schwester bekomme ich einen harten Schlag in die Seite. Sie ist nicht der Ansicht, daß die Zeit für große Bekenntnisse gekommen ist. »Halt die Klappe!« zischt sie und kneift mich in den Arm, »du sagst nichts.«
»Aber«, versuche ich es erneut, »es ist alles meine Schuld!«
Mutter fragt, was denn das für ein Blödsinn sei. Ich solle nicht irgendwelchen Unfug über Pipi reden, wenn Großvater ernsthaft krank ist. Sonst könne ich gleich auf mein Zimmer gehen.
Stinne nickt zustimmend. »Hau ab«, zischt sie und boxt mir einen Ellenbogen in die Seite, aber ich will nicht gehen und schlage zurück.
Eine Viertelstunde später wird die Einfahrt von blinkenden Sirenen erleuchtet, die blaue Flecken auf den Kopf meiner blassen Großmutter werfen. Sie hat sich nicht von der Stelle gerührt, seit Askild vom Stuhl geglitten ist, und erst als die Sanitäter ihn auf eine Trage heben und ihn in den Flur tragen, wacht sie auf. »Um Himmels willen«, ruft sie und rennt hinterher, »ich muß doch mit!« Sie läuft direkt an der dicken Tante vorbei und darf zusammen mit Vater an der Trage sitzen; die Tür wird hinter ihnen zugeworfen, und der Krankenwagen rast in einem blinkendblauen Gewitter davon. Wieder im Haus, sehe ich gerade noch die dicke Tante, wie sie hinunter in den Keller läuft, um sich im Raum unter der Treppe zu verstecken. Ich überlege, ob ich zu ihr runtergehen soll, aber dazu habe ich keine Lust mehr, und Onkel Harry meint auch, daß es längst Zeit ist, zu Bett zu gehen. »Geht jetzt ins Bett, Kinder«, sagt er und scheucht uns aus dem Wohnzimmer, »Askild wird schon wieder gesund.«
Aber wir können ihm ansehen, daß er sich Sorgen macht. Er ist beinahe so blaß wie Großmutter und spricht sehr leise. Mutter schenkt ihm einen Cognac ein und sagt, er solle sich erst einmal beruhigen.
»Haben wir Großvater umgebracht?« flüstere ich schockiert, als wir wieder in Stinnes Bett sitzen und sich eine seltsame Stille über das Haus gelegt hat.
Niemand antwortet.
2
Der Weg nach Hause
I ch bin auf dem Weg nach Hause. Der Zug saust lautlos dahin. Wir haben gerade Osnabrück hinter uns gelassen, als mir klar wird, daß auch die Geschichten anfangen, nach Hause zurückzukehren. Die letzten paar Monate haben sie mich nachts wach gehalten und mit unzähligen Zungen zu mir gesprochen. Häufig waren sie gefärbt vom süßen Flüstern meiner Großmutter, so wie ich mich an sie erinnere, im Bett im Haus meiner Kindheit, an dem Bjørk stundenlang erzählen konnte – bis Mutter meinte, nun müsse ich schlafen, und sie aus meinem Zimmer warf. Bjørk erzählte von Bergen, von den Lausbubenstreichen der Kinder und ihren Sommerferien als Kind in Nordland, wo die Mitternachtssonne wie eine große, bleiche Perle über Fjälle und Fjorde schien. Auch andere Stimmen mischten sich ein, und alle forderten ihre Version der Wahrheit.
Eigentlich habe ich lange standgehalten. Mehr als sieben Jahre sind vergangen, seit ich nach Amsterdam gezogen bin und mir geschworen habe, die alten Geschichten daran zu hindern, neue entstehen zu lassen. In der Akademie sorgte ich dafür, daß sie sich nicht auf meine Leinwände schlichen. Ich wollte nicht so malen wie Askild. Die Geschichten ruhten im
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