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Hundsköpfe - Roman

Hundsköpfe - Roman

Titel: Hundsköpfe - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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eure Eltern ja gar nicht nach Hause«, schnappte mein Kassettenrecorder auf. »Dann haben wir die ganze Nacht. He, wo willst du hin?«
    »Ich muß pinkeln«, protestierte Stinne, doch Jimmy verstellte ihr den Weg. Ich hörte das Geräusch eines Schlüssels, der umgedreht wurde. »Gebt den her!« schrie meine Schwester, während der Schlüssel unter den grinsenden Gästen herumgereicht wurde. Jedesmal, wenn Stinne den Schlüssel fast zu fassen bekam, kniffen sie ihr in die Brust und warfen den Schlüssel dem nächsten zu. »Jimmy, verdammt noch mal«, erklang die Stimme meiner Schwester. »Scheiße, was habt ihr vor?«
    Es war nicht ihre gewohnte, selbstsichere Stimme, die ich an diesem Abend hörte. Es war die Stimme von jemandem, der seinen magischen Zauberstab und damit die Kontrolle über die Situation verloren hatte. Von jemandem, der plötzlich von der Erinnerung an einen besoffenen Askild gelähmt wurde, der nach ihren kleinen Zicklein greift und dabei grinst, daß wir seine gelben Seeräuberzähne sehen können.
    »Zeig ihn uns«, ertönte eine unbekannte Stimme. »Laß sehen, ob er wirklich so klein ist.«
    »Was ist?« fragte Jimmy. Er klang nicht mehr so wütend, etwas Zögerliches hatte sich in seine Stimme geschlichen.
    »Finger weg«, wimmerte meine Schwester.
    »Komm schon!« waren die unbekannten Stimmen zu hören, und ich auf der anderen Seite der Wand war inzwischen einigermaßen verzweifelt. Sollte ich aus dem Fenster springen? Sollte ich versuchen, Hilfe zu holen? Außerdem mußte ich auch pinkeln und fummelte mit einer leeren Colaflasche herum, als meine Schwester sich zum zweiten Mal an diesem Abend an mich wandte.
    »Lauf rüber zu Bjørn!« schrie sie.
    Wir werden dir deine Hose schon nicht ganz ausziehen  …
    Der letzte Satz prägte sich mir ein – es war der Schlüsselbegriff meiner verräterischen Bänder, die zu so großer Heiterkeit im Viertel geführt hatten, und einen Augenblick stand ich da wie gelähmt. Ich sah, wie zwei Hände nach Stinnes Hosenbund griffen und sie aufs Bett zogen. In einem letzten verzweifelten Versuch schlug sie mit der geballten Faust nach Jimmys Gesicht, dann griffen Hände nach ihren Handgelenken, und ihr Kopf wurde auf die Matratze gedrückt. Wenn man mit dem Gesicht auf eine Matratze gepreßt schreit, klingt es viel unheimlicher als ein normaler Schrei, und das Geräusch des jähen Entsetzens meiner Schwester ließ mich meine körperliche Lähmung auf der Stelle vergessen. Soll ich – soll ich nicht? Ich drehte den Schlüssel um, riß die Tür auf, und als ich wie ein Staubfussel, der in alle Richtungen geblasen werden kann, im Flur lag, verlor ich einige kostbare Augenblicke bei dem Gedanken, ob meine fünfzehn Jahre und zehn Monate ausreichen würden. Ja oder nein … Nein, nein, nein … Ich rannte aus der Haustür, stolperte in der Einfahrt, kam wieder auf die Beine und rannte in dem Moment auf die Straße, als ein smarter Wagen mit hohem Tempo auf unsere Einfahrt zufuhr. Es war ein Sportwagen, mit breiten Reifen, der rote Lack glänzte im Schein der Straßenlaternen; ich schloß die Augen, und als ich sie wieder öffnete, lag ich auf dem Kühler.
    Der Spundpfropfen kam aus dem Wagen gerannt: »Zum Teufel!« brüllte er. »Bist du wahnsinnig!«
    Ich war mit der Stirn an die Frontscheibe geprallt, aber sie war nicht kaputtgegangen. Der Spundpfropfen ist immer sehr heikel mit seinen Autos, dachte ich irrationalerweise noch, als ich vom Kühler krabbelte und merkte, wie etwas auf meiner Stirn wuchs. Blutete ich? War ich bei Bewußtsein? Ja. Aber ich konnte nichts sagen. Ich wies nur in eine Richtung, und der Spundpfropfen verstand mich nicht.
    »Tut es sehr weh?« fragte er und guckte sich meine Beule an. »Hast du dir noch woanders weh getan? Spürst du deine Füße? Verflucht, was ist hier eigentlich los?«
    Ich weiß nicht, wieviel Zeit wir vergeudeten. Ich auf allen vieren mit tanzenden Sternen vor meinen Augen und der Spundpfropfen, der sich über mich beugte und versuchte, mich dazu zu bringen, etwas zu sagen. Dreißig Sekunden? Eine Ewigkeit? Kostbare Zeit, die verging, während meine Schwester einen vergeblichen Kampf auf ihrem Bett austrug …
    Und doch war es der Spundpfropfen, der sie rettete. Es war der Spundpfropfen, der schließlich seinen kompakten Körper so gegen die Tür meiner Schwester warf, daß sie aufsprang und Jimmy am Schädel traf. Und es war der Spundpfropfen, der einen Augenblick lang beim Anblick meiner Schwester

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