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Hundsköpfe - Roman

Hundsköpfe - Roman

Titel: Hundsköpfe - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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hatte sie tatsächlich vorher schon einmal gehört, riß sofort die Zeitungen aus dem Guckloch und starrte in Stinnes Zimmer. Sie vögelten nicht. Sie saßen auf dem Sofa, Stinne hatte den Blick niedergeschlagen, Jimmy ein schiefes Lächeln auf den Lippen. Ein Ohr war noch immer geschwollen …
    Was war das für eine merkwürdige Szene? Fickgeräusche ohne Bewegungen. Worte, die über stumme Lippen kamen. Wollüstige Laute ohne jede Andeutung von Lust im Gesicht meiner Schwester … Es hatte überhaupt nichts Mystisches, denn Jimmy hatte nach einem unglücklichen Zusammenstoß mit einem rasenden Fahrrad das Band wieder auf die Spulen gerollt und die Kassette repariert, und nun saß er auf der anderen Seite der Wand und spielte es meiner Schwester vor …
    Als er aus dem Fenster verschwunden war, konnte ich meine Schwester weinen hören. Durch das Guckloch in der Wand sah ich ein Drittel ihres Gesichts, ein Viertel ihres Oberkörpers und die Nahaufnahme einer Hand, die sie langsam zum Hals führte …
    »Mach, daß du wegkommst!« brüllte sie, als ich hereinkam. »Was, zum Teufel, treibst du da eigentlich, du kleines Stück Scheiße!«
    Während die Kassetten als seltene Tauschobjekte zirkulierten, während Mutter ihre letzten Examen bestand und eine Anstellung im städtischen Krankenhaus fand, während eine feindliche Stille zwischen Schwester und Bruder entstand, wurde ich Zeuge einer beunruhigenden Entwicklung im Liebesleben meiner Schwester. Hatte sie sich früher an Jimmy gehalten und ihn allenfalls durch ein paar andere Burschen ergänzt, wenn sie sich in regelmäßigen Abständen verkrachten, stürzte sie sich nun ins wilde Leben, und es herrschte nachts ein wahres Kommen und Gehen an ihrem Fenster. Gleichzeitig bemerkte ich gewisse schlagartige Veränderungen. Ihr Lachen war kalt geworden, und sie nutzte jede Gelegenheit, um ihre Gäste bloßzustellen.
    Eines Tages, als Jimmy da war – ja, sie ließ ihn noch immer herein –, behauptete sie steif und fest, sein Schwanz wäre der kleinste und krummste, den sie je gesehen hätte. Durch das Guckloch konnte ich erkennen, wie er errötete und ging, ohne zu wissen, daß ich ihr Gespräch aufgenommen hatte. Noch am selben Abend legte ich mir den heimlichen Plan zurecht, das Band im Viertel zirkulieren zu lassen, und am Tag darauf gab ich ein Exemplar Bjørn – ich ging davon aus, daß es nur eine Frage der Zeit sein würde, bis alle wußten, daß Jimmy den kleinsten und krummsten Schwanz der ganzen Stadt hatte, aber aus irgendeinem Grund passierte nichts. Meine Rache blieb vorläufig aus, und es war somit an meiner Schwester, die Familienehre zu verteidigen, indem sie ihre Gäste mit verletzenden Kommentaren bedachte. Sie ließ sie ihre doppelzüngige Verachtung und ihr kaltes Lachen schmecken, als ob sie so ihre eigene Rache an dem schlüpfrigen Gerede nehmen könnte. Stinne hatte noch immer eine gewisse Macht über die Kerle, obwohl sie durch die Kassetten nunmehr auf einen ganz bestimmten Raum begrenzt wurde. Auf der Straße hingegen hielt sie sich zurück; vorbei war es mit den betörenden Blicken, und erst viele Jahre später erzählte sie, daß sie wirklich in Jimmy verliebt gewesen war, in seine grobe Art, seinen jungenhaften Charme, aber damals – 1987 – schien es, als hätte sie alle liebevollen Gefühle auf Eis gelegt und sich aus Protest in das Bild verwandelt, das sich andere von ihr gemacht hatten.
    »Stinne ist nicht mehr sie selbst«, sagte Mutter und guckte meinen Vater während ihrer nächtlichen Streitereien vorwurfsvoll an.
    »Sie hat nach zwölf keine Gäste mehr zu haben«, verfügte mein Vater, aber Verbote zogen bei meiner Schwester nicht. Sie ging aufs Gymnasium.
    »Es war nicht so gemeint«, sagte Jimmy. Er versuchte, es wiedergutzumachen. Irgendwie war wohl auch er in meine Schwester verliebt, aber zu seiner großen Enttäuschung wollte sie nicht wieder seine feste Freundin werden.
    Der einzige, der zu dieser Zeit Gutes über sie sagte, war Peter. Er kam ständig mit Blumen, saß an ihrem Bett und seufzte, weil er für seine Angebetete Luft war. »Peter ist so lieb, daß man das Kotzen kriegen könnte«, sagte Stinne gern zu Mutter. »Er möchte so gern Vater, Mutter, Kind spielen.«
    Und was meine rothaarige Kusine und unsere nichtexistente Liebesaffäre anging, so war ich …
    Nicht all diesen Mist , unterbricht mich meine Schwester, komm zur Sache!
    Mutter hatte Nachtwache im Krankenhaus, Vater war in Kopenhagen, um

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