Hundsköpfe - Roman
Pubertät keinerlei Anzeichen eines magischen Zauberstabs, im Gegenteil, meine Pubertät wies alle Zeichen von Beulenpest und Bußfertigkeit auf. Wo waren meine stolzen französischen Gene? Stinne hatte nie einen Pickel gehabt, aber trotz dieser Tatsache und trotz ihres Versuches, die Fassade aufrechtzuerhalten, bemerkte ich ihre veränderte Stimmung. Durch das Loch in der Wand sah ich sie manchmal auf ihrem Bett sitzen und leer in die Luft starren. Wußte sie, was über sie gesagt wurde? War sie sich im klaren darüber, was ich getan hatte? Die Distanz zwischen uns wurde größer, und es dauerte nicht lange, bis meine Schwester Jimmy erlaubte, ihr die Hose ganz auszuziehen.
»Her mit dem Band«, sagte er am nächsten Tag.
Das passierte auf dem Schulweg, und als ich wieder nach Hause kam, stopfte ich sämtliche Kassetten in ein paar Plastiktüten und fuhr hinunter zum Moor. Hier vergrub ich sie hinter ein paar Büschen. Zurück in meinem Zimmer, verstopfte ich das Loch in der Wand mit ein paar alten Zeitungen, schwor, daß ich nie wieder hindurchgucken wollte, und ging zu meiner Schwester, um zu gestehen. »Hau ab«, sagte sie, »ich mache Hausaufgaben.«
So verschaffte sie mir eine ausgezeichnete Möglichkeit, den Verrat für mich zu behalten, nur kehrten die entsorgten Kassetten ein paar Tage später zurück und flogen mir als unangenehme Neuigkeit um die Ohren. Irgend jemand hatte die Tüten ausgegraben. Jimmy hatte sie in die Finger bekommen, lief mit einem Ghettoblaster herum und spielte das Band jedem vor, der es hören wollte. Und so war es tatsächlich. Als ich durch die Straßen des Viertels fuhr, sah ich die Truppe am Tunøvej vor Großvaters und Großmutters Haus. Jimmy stand mit seinem Ghettoblaster in der Mitte. Mit klopfendem Herzen erhöhte ich das Tempo und raste mitten in die Gruppe.
»Was zum Teufel …«, hörte ich Jimmy brüllen.
Als ich die Augen öffnete, dachte ich zunächst, ich sähe doppelt. Mit meinem Vorderrad hatte ich den Ghettoblaster in zwei Teile zerlegt, und Jimmys Kopf war weiß vor Wut. Er hätte das Gerät von seinem Vater geschenkt bekommen, brüllte er, ich müsse es ersetzen, ich wäre ja wohl nicht ganz dicht – und einen Moment später saß er auf meinem Brustkasten und hämmerte mit den Fäusten auf mich ein. »Hilfe!« schrie ich und versuchte, mich gegen die Schläge zu schützen. »Hilfe!«
Mutter Randi, die in ihrem Schaukelstuhl im alten Zimmer der Tante saß, hörte meine Schreie, obwohl sie eigentlich taub war. Durchs Fenster sah sie die Prügelei, obwohl sie eigentlich auch blind war, und mit einemmal stand sie hinter Jimmy. Die anderen aus der Gruppe hatten sie bereits gesehen, aber Jimmy war rasend vor Wut und bemerkte die bucklige Greisin nicht, deren Mundwinkel so bedrohlich zitterten, daß ihre drei Zähne zu sehen waren. Unbeeinträchtigt vom Alter schwang sie ihren Stock ein paarmal durch die Luft und schlug Jimmy damit aufs Ohr. Er rollte von mir herunter, drehte sich um und heulte laut auf. Ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen, fing Randi an, auf den Rest der Gruppe einzuschlagen, bis alle samt den beiden Hälften von Jimmys Ghettoblaster verschwunden waren. Dann setzte sie sich auf die Straße.
»Ich bin zu alt, um aufzustehen«, sagte sie, und als Askild kurz darauf besoffen auf dem Corner kam, mußte er mir helfen, sie ins Haus zu tragen.
Daraufhin begann Mutter Randi, sich an die merkwürdigsten Stellen zu setzen, hinter den Vorhang im Badezimmer oder in den Schuppen mit den gestohlenen Fahrrädern. »Ich bin zu alt, um zurück nach Norwegen zu fahren«, hatte sie vor acht Jahren gesagt. Nun wurde ihr selbst die Anstrengung, sich zu erheben, zuviel, und Großmutter mußte ihre Aktivitäten im Spielklub einschränken und sich um die Mahlzeiten kümmern.
Stinne wußte noch immer nichts. Sie hatte sich angewöhnt, »He, Hübscher!« zu sagen, nachdem die Pickel mein Gesicht bearbeitet hatten, und nun war ich auch noch der glückliche Eigentümer eines blauen Auges, wenngleich ich mich weigerte zu erzählen, wie ich es mir zugezogen hatte.
»Sag’s doch«, insistierte sie, als ich an ihr vorbei in mein Zimmer ging.
»Verflucht, wieso bist du ständig so sauer?« schrie sie.
Aber ich war gar nicht sauer. Ich war beunruhigt, und an diesem Abend verwandelte sich die Unruhe nur kurze Zeit später in Entsetzen, als ich durch die Wand eine wohlbekannte Tonspur aus dem Zimmer meiner Schwester hörte. Eine allzu bekannte Tonspur – ich
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