Hundsköpfe - Roman
dachte. Und wenn Leila es zweimal monatlich notwendig fand, ihm sein Verhalten vorzuhalten, pflegte er ihr recht zu geben. Er würde sich schon zusammenreißen. Er würde etwas weniger arbeiten, ein aufmerksamerer Ehemann und Vater sein … Diese Versprechen wurden gleichermaßen mit Irritation und Aufrichtigkeit gegeben – und immer mit einem entwaffnenden Lächeln, weil er in seinem tiefsten Inneren überzeugt war, daß sie recht hatte. Als er ihr aber an diesem zufälligen Juniabend des Jahres 1989 mit dem Rücken zugewandt dastand, kam es irgendwie zu einer Initialzündung, und seinem Mund entströmte eine ganz andere Geschichte.
Es war eine Geschichte über einen Jungen mit großen Ohren. Geboren in einem Plumpsklo. Mißhandelt von Straßenkindern. Angelernt in der Kunst des Nüsseknackens … Ein Junge, der mit Hilfe einer ausgewogenen Mischung aus Brutalität und Geschäftssinn einen goldenen Regenbogenkrug hervorgezaubert hatte. Der Regenbogenkrug war gestohlen worden, aber so sollte es wohl sein. Er trug niemandem etwas nach. Gab sich keinen dunklen Gedanken hin. Nein, keine Baumgeister waren je durch ihn hindurchgegangen. Brannte er vielleicht durch wie gewisse andere? Hatte er etwa keinen Umgang mit seinen Eltern, trotz des ganzen Geschwafels und des Hickhacks? Hatte er nicht das Begräbnis seiner Schwester bezahlt? Selbstverständlich verhielt es sich so!
Aber einst war er ein zurückhaltender junger Mann, und jeder weiß doch, wie die sind. Sie geben sich wagen Traummädchen hin. Sie sitzen auf ihren Zimmern und lesen Bücher im Schein einer Schreibtischlampe, obwohl sie eigentlich abhauen sollten. Eben so ein Typ, der einen Tritt in den Arsch braucht. Und genau den hatte er bekommen, als er irgendwann gegen Ende der Sechziger mit Der Arzt und das Skalpell unter dem Arm in die Tür einer Rahmenwerkstatt trat und seine zukünftige Ehefrau erblickte. Ein Blitz schlug ein. Mit einemmal war der zurückhaltende junge Mann erwachsen. Überschäumend vor Freude darüber, daß er ins Leben getreten war und die Kraft gefunden hatte, wieder seinen alten Traum vom Krug am Ende des Regenbogens zu verfolgen. Nicht so zu enden wie sein Vater. Sich nicht vom Leben übers Ohr hauen zu lassen und sich mit Starkbier zuzuschütten.
Als er aber endlich anfing, Geld zu verdienen und jeden Abend mit den Worten heimkommen konnte: Die und die Aufträge sind erledigt, soundso viel Geld ist heute in der Kasse, da fing sie an, über das Geld zu nörgeln – sie, die doch der Auslöser für alles gewesen war! Sie fing an, bei Geschäftsessen sozialistische Ideen zu diskutieren und sich über den Spundpfropfen zu beschweren, der nicht nur ein glänzender Geschäftspartner war, sondern auch sein einziger Freund. Als wäre es ein Verbrechen, Geld zu verdienen. Als wäre es falsch, seinen Zielen zu folgen! Er war trotz allem ein Mann, der für seine Familie sorgte, sie waren nie gezwungen, von Ort zu Ort zu ziehen und ein erbärmliches Zigeunerleben zu führen, wie er selbst es erlebt hatte.
Natürlich hatte er Fehler gemacht. Die Rahmenwerkstatt beispielsweise zu rücksichtslos übernommen. Könnte schon sein, daß er damals gebissen war und an vorübergehenden Anfällen von Chefallüren litt. Aber schließlich und endlich hatte er doch zugehört und nachgegeben. Nur, nachdem sie sich über seine Art, die Firma zu führen, beschwert hatte, wollte sie sie ja nicht mehr haben. Nein, sie verkaufte den Laden an Ib und fing an zu studieren … Und damals, als ihr Leben von Büchern in Beschlag genommen wurde und sie ihre Zeit mit Schulen und Praktika verbrachte, da war er nicht auf Distanz zu seiner Familie gegangen. Sie war es, die sich abgemeldet hatte. Die andere Freunde fand, mit denen er kein ordentliches Gespräch führen konnte. Ein anderes Leben, dem er nur von der Seitenlinie aus folgen konnte. Sie war doch so besessen von kranken Kindern in Krankenhäusern irgendwo auf der Welt und faselte von Ärzten ohne Grenzen, daß sie gar nicht mitbekam, welche Probleme ihre Tochter hat. Daß ihr Sohn im Alter von siebzehn Jahren noch immer von Hundeköpfen träumt. Kapierte sie das denn nicht? Es verhielt sich doch genau umgekehrt! Sie war es! Nicht er! Verdammt noch mal! brüllte Niels mit einer derartigen Lautstärke, daß er Stinne und mich weckte.
Teile von Vaters Geschichte drangen durch die Wand, aber niemand von uns mochte sich in den Flur schleichen, um zu lauschen. Wir hatten mit unseren Spionagespielen abgeschlossen,
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