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Hundsköpfe - Roman

Hundsköpfe - Roman

Titel: Hundsköpfe - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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amputiert werden, vier Zehen waren nicht zu retten, ein halbes Ohr wurde abgeschnitten, und als der Mann endlich aufwachte, sah er aus wie etwas, das nicht von dieser Welt war. Freundliche Ärzte entfernten sämtliche Spiegel. Eines frühen Morgens erblickte er auf dem Boden eines Metalltellers dennoch dieses nasenlose Monster.
    Er weinte, als wir ihn am Flughafen abholten. Er schluchzte während der langwierigen Verhöre, gestand alles, nahm die gesamte Schuld auf sich, obwohl viele Zusammenhänge nie geklärt werden konnten und Gerüchte bei dieser Geschichte immer die wichtigsten Zeugen bleiben sollten. Bauernfänger auf Raubzug im Himalaja , lautete die übelste Zeitungsüberschrift, dennoch gibt es keinen Grund, sich in Details zu verlieren oder über Großmutters und Großvaters Zeitungslektüre zu erzählen. Sie verschlangen alles, saßen in ihrem Wohnzimmer am Tunøvej und starrten auf die wachsenden Zeitungsstapel, in denen sie nach der letzten Wahrheit über ihren Sohn suchten.
    Es gibt auch keinen Grund, davon zu erzählen, wie Askild nun ständig am Birkebladsvej aufzutauchen begann, weil er glaubte, wir benötigten die väterliche Autorität. Als die dicke Tante starb, wäre er fast vor die Hunde gegangen, nun reagierte er vollkommen anders. Er hielt sich mit seiner Sauferei zurück, rasierte sich, bügelte sich selbst sein Hemd und rückte jeden Morgen am Birkebladsvej an. Er hatte Angst, daß unser Leben uns entgleiten könnte. Er glaubte, es läge in seiner Verantwortung, daß wir zur Schule gingen, daß aufgeräumt wurde und Mutter einkaufte, damit am Abend warmes Essen auf dem Tisch stand. Ruhe und Regelmäßigkeit schien Großvaters Antwort auf die Dunkelheit zu sein, die durch uns hindurchgegangen war, wir indes wären damals am liebsten unter die Räder gekommen.
    »Da hast du dich überhaupt nicht einzumischen!« rief Stinne, wenn Großvater seiner an der Universität studierenden Enkelin erzählen wollte, wann sie abends nach Hause zu kommen hatte. »Er hat mich verlassen«, knurrte Mutter, wenn Großvater über Preben herzog – ihren neuen Freund, mit dem sie oft bis zum frühen Morgen zusammensaß und Rotwein trank. »Laß mich in Ruhe!« brüllte ich, wenn ich mit meinen Malsachen in meinem Zimmer saß und Großvater von außen an die abgeschlossene Tür hämmerte, weil er wollte, daß ich zur Schule ging.
    Viele Jahre später habe ich oft darüber nachgedacht, ob durch unser gemeinsames Interesse für die Malerei wieder eine Beziehung möglich gewesen wäre, wenn ich Askild hereingelassen hätte. Nur damals war Großvater ganz einfach von allem zuviel und von allem zuwenig, und das sozusagen gleichzeitig. Wir konnten den Anblick nicht ertragen, wenn er jeden Morgen in seinem frisch gebügelten Hemd kam, mit seinem naßgekämmten Haar und dem bitteren Zug um den Mund. Es war nicht auszuhalten, daß ausgerechnet Großvater, der selbst einen ewigen Kampf gegen den Absturz austrug, uns Struktur und Ordnung beibringen wollte. Er mischte sich wahrhaftig in alles ein, kontrollierte meine Noten und rief mein Gymnasium an, um sich zu erkundigen, wieso ich eine Fünf in Latein hatte. Eines Tages telephonierte er mit Mutters Arbeitsstelle, weil er der Ansicht war, daß sie ihr weniger Abend- und Nachtwachen geben sollten; das war dann allerdings auch der berühmte Tropfen. Als Großvater am nächsten Morgen erschien, war Mutter gerade von ihrer Nachtwache gekommen. Wir saßen am Frühstückstisch, und als sie ihn sah, stand sie auf und warf mit einer Milchpackung nach ihm. Sie sagte nichts. Sie schrie bloß – einen hohen, anhaltenden Schrei, dessen Dauer und Lautstärke uns alle überraschte. Der Milchkarton traf die Wand direkt hinter Großvaters Kopf. Der Aufprall ließ den Boden der Packung aufplatzen, und die gesamte linke Hälfte von Großvaters Gesicht wurde mit Milch bespritzt.
    Am Tag danach tauchte er nicht auf, und auch in den folgenden Tagen war nichts von ihm zu sehen. Erst eine Woche später, als ich mit dem Rad durch die Grünflächen am Moor fuhr, sah ich ihn wieder. Er lag mit einer Flasche Schnaps in der Hand unter einer der erst kürzlich aufgestellten Bänke. Ich fuhr direkt an ihm vorbei und hoffte, daß er mich nicht gesehen hatte. Zwei Stunden später fuhr ich zurück, um mich zu vergewissern, daß er nicht tot war. Großvater war weg. Er mußte aufgestanden und in seinem Rausch nach Hause getorkelt sein. Vielleicht hatte ihm auch jemand geholfen.
    Niemand von uns hatte mit

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