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Hundsköpfe - Roman

Hundsköpfe - Roman

Titel: Hundsköpfe - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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behalten.
    »Selbst in seinen allerersten Erinnerungen geht es um diese Ohren«, sage ich.
    »Seine ersten Erinnerungen?« lächelt Stinne und glaubt, daß ich mich auf ein ziemlich unsicheres Terrain begebe. »Von denen habe ich jedenfalls noch nie gehört.«
    Das erste, woran sich Segelohr erinnerte, war ein offenes Gartentor in einem verzauberten Licht – genauer gesagt, ein Gartentor vor einer der Werftwohnungen in Oslo. Bjørk hing im Garten hinter dem Haus Wäsche auf, und Segelohr war in den Vorgarten gegangen, um mit seiner Spielzeugeisenbahn zu spielen, als er plötzlich das offene Gartentor sah. Normalerweise war es immer geschlossen, aber ausgerechnet heute hatte Askild vergessen, es zuzuziehen, und Segelohr starrte verwundert auf die Straße auf der anderen Seite, die für ihn ein bisher verschlossenes Land gewesen war – nicht nur, weil er ausschließlich im Garten spielen durfte, sondern auch, weil ihm nie die Möglichkeit in den Sinn gekommen war, sich auch auf die anderen Seite des Gartentors zu bewegen. Wie er so dastand, gleichsam als Zeuge einer ungeheueren Ausdehnung der Welt, keimte etwas in ihm auf, etwas rief, etwas sang ein wunderbares Lied und ließ ihn seine Eisenbahn auf der Stelle vergessen. Er warf sie weg und begab sich hinaus in die Welt, erfüllt von einer gewaltigen Lust zu schreien – einer Lust, die nicht geringer wurde, als ihm draußen auf dem Fußweg eine bezaubernde Erscheinung ins Auge fiel, ein Mädchen von ungefähr sechs Jahren, die sich mit zwei kleineren Jungen damit vergnügte, eine Maus zu quälen, die sie gefangen hatten.
    Segelohr hätte gern mitgemacht. Er war den Fußweg ein paar Meter hinuntergegangen, als ihn einer der Jungen bemerkte und die bezaubernde Erscheinung in die Seite stupste. Sie drehte sich um, zeigte einen nicht minder bezaubernden Rosenmund, der geradezu einlud, näher zu kommen, und rief: »He! Du da mit den Ohren.«
    Segelohr blieb stehen.
    »Ja, du, mit den Segelohren! Mit dir rede ich. So wie du aussiehst, kannst du doch bestimmt das Gras wachsen hören?«
    Eine merkwürdige Stille breitete sich in ihm aus, und sie wurde nicht geringer, als die Jungen lauthals zu feixen begannen: »Sag mal, hat der’s nicht ein bißchen sehr dick hinter den Ohren!« – Dann wandte sich einer an den kleinen Niels junior: »He, Düsenjäger! Paß auf, daß du nicht abhebst!«
    »Mußt du häßliches Ohrentier nicht nach Haus zu deiner Mama?«
    So schnell, wie die drei laut schreienden Kinder in Segelohrs Leben getreten waren, verließen sie es auch wieder. Der kleine Niels drehte sich um und rannte zurück in die geborgene Welt auf der anderen Seite des Gartentors.
    Ein paar Wochen später kam Askild von der Werft nach Hause und war betrunkener als gewöhnlich. In solchen Situationen hatte Segelohr es sich angewöhnt, in den Schrank unter der Küchenspüle zu kriechen, wo das leise Summen des Wasserrohrs eine beruhigende Wirkung auf seinen Körper hatte. Hier konnte er sich fortträumen und mit einem Bleistiftstummel kleine Kopffüßler auf die Innenseiten des Schrankes malen, wenn im Wohnzimmer die Wellen hochschlugen. Und genau an diesem Abend gab es ein konkretes Problem, das Askild quälte. Nachdem Bjørk ihm im Wohnzimmer ordentlich zugesetzt hatte, gab er zu, daß die Werft ihn gefeuert hatte, wegen unsachgemäßer Schiffszeichnungen und erheblichem Ärger mit den Schmieden, Elektrikern und Werkmeistern.
    »Bauern!« murmelte Askild und schlug mit seinem Stock auf den Boden. »Ungebildete Schweine!«
    »Um Gottes willen«, seufzte Bjørk und servierte ihrem Ehemann eine Tasse schwarzen Tee, »was sollen wir denn jetzt machen?«
    Askild mußte gestehen, daß es auf der Werft zu einem Tumult und Beleidigungen gekommen war, und was half die Milorg-Armbinde und seine ganze Geschichte, wenn niemand in Oslo je etwas vom Zimmermann gehört hatte, dem berühmten Freiheitskämpfer aus Westnorwegen.
    Wieder stapelten sich die Umzugskartons. Der kleine Segelohr, wie er inzwischen vom krakeelenden Chor der Straße getauft worden war, krabbelte hinein und versteckte sich darin, zeichnete Kopffüßler auf die Innenseiten und verschwand in einer geheimnisvollen Welt aus Büchern, Töpfen und alten Kleidern. Eines Tages steckte er den Kopf aus einem Karton und fragte: »Wo wollen wir eigentlich hin?« Und Askild, der über einer halben Tasse Schnaps saß und in die Luft starrte, antwortete: »Hinaus ins Blaue, Söhnchen, das hätten wir schon längst machen

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