Hundsköpfe - Roman
Stimme zu hören, als die erste Behandlung abgeschlossen war. »Ich auch!« kam es von einer anderen, und wieder wurde Schlamm aufgefischt, und Zeigefinger bohrten sich in die großen, feuerroten Ohren, bis Per sagte: »So, jetzt lauf nach Hause. Wenn sie nicht schrumpfen, wiederholen wir morgen die Behandlung.«
In der folgenden Zeit kämpfte Bjørk eine wahre Schlammschlacht mit Wattestäbchen und Seifenwasser, um die Ohren ihres Sohnes sauberzuhalten, doch sobald sie sich vergewissert hatte, daß sie ganz sauber waren, begann der Modder wieder zu fließen.
»Diese Ohren, diese Ohren«, seufzte Askild, wenn er aus der Werft nach Hause kam und seine Frau vorfand, wie sie die Ohren ihres Sohnes auf dem Küchentisch reinigte, »er hat doch wohl keine Mittelohrentzündung, oder?« Sie fragten, ob er Schmerzen hätte. Sie schmierten Vaseline auf ein Thermometer und maßen seine Temperatur, aber ihm fehlte nichts, und mit der Zeit war es nicht nur Schlamm, der bei dem täglichen Reinigungsritual aus den Ohren gefischt wurde. Nein, Bjørk fand die Reste kleiner Schnecken, grünliche Klumpen, die unverkennbar wie getrocknete Popel aussahen, vermoderte Blätter und Kaulquappen. Eines Tages guckte sie ihn ernst an und sagte: »Du darfst dir nichts in die Ohren stecken. Du kannst davon taub werden.«
Segelohr nickte und fragte, ob es wahr sei, daß er große Ohren hätte.
»Wer hat das gesagt?« wollte Bjørk wissen, und Segelohr, der nichts von der heimlichen Behandlung verraten wollte, die er jeden Tag auf der Straße über sich ergehen ließ, antwortete: »Niemand.« Am gleichen Tag zog Bjørk ihren Mann ins Wohnzimmer, dort wurde eine Viertelstunde geflüstert und getuschelt. Danach kam Askild in die Küche gerannt, packte sich Segelohr und warf ihn in die Luft, daß sich alles drehte, bevor er mit den Beinen auf dem Küchentisch landete. »Sei stolz auf deine Ohren«, rief Askild, »mit ihnen kannst du Dinge hören, die niemand sonst hört. Mit ihnen kannst du alles hören, was diese verdammten Kristiansandbauern nicht hören!«
»Äh …«, sagte Segelohr, als er seinen Schreck überwunden hatte, »was kann ich hören, Askild?«
»Du sollst mich nicht Askild nennen, Söhnchen. Nenn mich Papa, hast du verstanden?«
»Ja, Papa, aber was kann ich denn hören?«
Als Askild nicht sofort eine Antwort zur Hand hatte, versuchte Segelohr selbst zu horchen. Er konnte das Geräusch des angehaltenen Atems seiner Mama im Wohnzimmer hören; er konnte die pfeifenden Lungen seines Papas hören, und er konnte ein leises Brausen und Summen hören, das an der großen Menge von Medikamenten phantasievoller Kinder lag, die sich inzwischen tief in seinen Gehörgängen abgelagert hatten. Mit der Zeit sollte Segelohr ziemlich unglaubliche Dinge hören, damals schaute er jedoch seinen Vater bloß unschuldig an und sagte: »Was kann ich denn hören, Papa? Sag’s mir.«
»Diese Ohren«, sagte Askild, »sind ein paar waschechte Männerohren! Die Frauen werden bei dir in Ohnmacht fallen.« Dann verschwand er zu seinen Malutensilien, und Segelohr blieb auf dem Küchentisch stehen, bis Bjørk kam und ihn herunterhob.
Segelohr krabbelte in den Schrank unter der Spüle, schloß die Tür hinter sich und zog einen Bleistiftstummel aus der Hosentasche, um an seinen kleinen Kopffüßlern weiterzuzeichnen. Normalerweise malte er nur große Köpfe und kleine Füße, doch plötzlich glitt ihm der Bleistiftstummel aus den Fingern, und im Gesicht eines Kopffüßlers war ein Dreieck zu erkennen, das ganz einfach wie ein Reißzahn aussah. Begeistert wiederholte er seine Bewegung wieder und wieder, und die Gemeinde der Kopffüßler, die im Schrank unter der Spüle wohnte, verwandelte sich rasch in eine Kolonie winzig kleiner Ungeheuer; es hatte etwas sehr Beruhigendes, sich seine Ungeheuer selbst zu erschaffen.
Es dauerte nicht lange, bis die Ungeheuer in die Welt auszogen. Eines Morgens fiel Askild der Rasierapparat auf den Badezimmerboden, und als er sich nach ihm bückte, fand er drei kleine Ungeheuer an der Wand unter dem Waschbecken. Wenn Bjørk saubermachte, fand sie Ungeheuer unter den Betten und zwischen den untersten Regalbrettern in der Speisekammer, und als sie irgendwann bei einer Grundreinigung unter der Küchenspüle in das Herz der Kolonie eindrang, lief es ihr beim Anblick der gewaltigen Menge von Ungeheuern kalt den Rücken herunter. Sie scheuerte und wusch, allerdings ohne größeres Resultat, denn Segelohr zeichnete sofort neue
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