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Hundsköpfe - Roman

Hundsköpfe - Roman

Titel: Hundsköpfe - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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begriffen, daß kein Zirkus in die Stadt gekommen war, andere begeistert, weil allein die bloße Ähnlichkeit mit einem Zirkus nicht zu verachten war.
    Doch Stavanger erwies sich nicht als die goldene Stadt, die Familie wurde mitnichten wie Grafen und Barone empfangen. Immerhin schienen die Kinder des Viertels von der Idee begeistert zu sein, bei dem Umzug mithelfen zu dürfen, und das war auch bitter nötig, zumal die Möbelpacker nicht aus ihrem Rausch zu wecken waren. Die Nachbarn hingegen blieben an den Türen stehen, und als ein freisinniger Anwohner dennoch herüberkam, um die Zugezogenen zu begrüßen, kehrte er ganz schnell wieder zurück. »Was für eine Ausdrucksweise, und der nennt sich Ingenieur! Ein Hafenarbeiter, meiner Meinung nach …«
    Die Kinder aus der Straße waren nicht so leicht zu schockieren. Eifrig packten sie mit an bei Kartons und Schränken, und es dauerte nicht lange, bis die alten Briefe von Thor, dem Arzt, auf dem Gartenweg herumflogen, Leintücher rissen und Porzellan klirrte. Die Kinder schienen vor allem an dem kleinen Segelohr interessiert zu sein. »Was hat er denn«, wollten sie von Bjørk wissen, »kriegt er Anfälle, oder wozu muß er mit diesem Ding herumlaufen?« Bjørk erklärte den neugierigen Burschen geduldig, daß sich ihr kleiner Sohn Sachen in die Ohren stopfe. Das Korsett sei keine Rüstung, sondern die Erfindung eines hochintelligenten Arztes – und in den folgenden Tagen waren muntere Rufe auf der Straße zu hören: »He! Du da, dürfen wir dich Segelohr nennen? Komm, zeig mal, wie du dir Sachen in die Ohren steckst!«
    Obwohl Segelohr allmählich nur noch wenig Lust verspürte, auf die Straße zu gehen, gehorchte er. Ein großer Junge muß draußen spielen , hatte Papa gesagt. Nur Mäuse wohnen unter der Spüle … Also war Segelohr in seinem hoffnungslosen Korsett, das ihn für immer zu einem Spastiker und Sonderling in Stavanger stempeln sollte, auf die Straße gewatschelt. Als er vor seinen potentiellen Plagegeistern stand, sagte er, ohne zu zögern: »Ich mach das nicht selbst, aber wenn ihr mir versprecht, nicht daran zu ziehen, dürft ihr es gern für mich tun.«
    »Abgemacht. Was sollen wir reinstopfen?«
    »Blätter«, schlug Segelohr vor, während er überlegte, wie lange er wohl auf der Straße bleiben mußte, um seinen Vater zufriedenzustellen.
    Kurz nach dem Umzug begann Bjørk, unheimliche Träume zu träumen, die sie zu Tode erschreckten. Eines Nachts wachte sie auf, nachdem sie von einem großen Vogel geträumt hatte, der auf ihrem Bett landete und ein Loch in ihren aufgeblähten Bauch hackte. In der nächsten Nacht stieg eine von Askilds kubistischen Figuren von der Wand und ging, mit einem großen Skalpell drohend, auf sie zu. Als sie aufwachte, war es fast drei Uhr. Sie stieg aus dem Bett, und ein eigenartiger Schmerz ließ sie zur Toilette laufen, aber als sie sich eben hinsetzen wollte, wurde ihr das ein oder andere klar, und sie rannte zurück zu Askild ins Schlafzimmer und rüttelte ihn wach: »Ich bekomme das Kind«, schrie sie, »ruf meine Mutter an!«
    Askild zog sich den Bademantel an und telephonierte unverzüglich mit seiner Schwiegermutter. Doch genau in dieser Nacht, so berichtete Ellen, hatte sich der Zustand von Vater Thorsten wesentlich verschlimmert, sie konnte nicht nach Stavanger kommen. »Oh nein«, flüsterte Bjørk, »wir müssen zurück nach Bergen.« Aber Askild schickte sie ins Bett und verbot ihr, sich dem Lokus auch nur zu nähern. »Wenn es genauso schnell geht wie beim letzten Mal, können wir noch immer nach Bergen fahren«, beruhigte er sie und rief als nächstes die Hebamme an.
    Als die erste Welle der Wehen über Bjørk zusammenschlug, erwachte Segelohr und begegnete kurz darauf seinem Vater in der Küche. »Dein kleiner Bruder ist unterwegs«, sagte Askild, »denk an unsere Abmachung.«
    »Ja, Papa«, murmelte Segelohr und kroch in den Schrank unter der Spüle, sobald sich die Gelegenheit bot; und hier saß er während der zwei Tage, die die Geburt dauern sollte, denn im Gegensatz zu ihrem großen Bruder hatte es das Mädchen nicht eilig, auf die Welt zu kommen. Hier saß er, während das optimistische Geplauder der Hebamme allmählich in ein besorgtes Tuscheln umschlug. Hier saß er, als ein relativ junger Arzt hinzugezogen wurde: große Aufregung und Stimmen, verzerrt und gedämpft durch die stinkende Masse in Segelohrs Gehörgängen, und dann der Ton von Mamas gellender Stimme: Nein! Ich will nicht. Nein!

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