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Hundsköpfe - Roman

Hundsköpfe - Roman

Titel: Hundsköpfe - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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»Da kann man wohl nichts machen«, flüsterte sie.
    »Seien Sie sich da nur nicht so sicher«, sagte der Arzt und rief seine Helferin, die den kleinen Segelohr aus dem Behandlungszimmer führte. »Sehen Sie, liebe Frau«, fuhr er danach fort, während er vorsichtig mit der Pfeife auf den Tisch klopfte, »es gibt verschiedene Methoden. Darf ich fragen … öhm … züchtigen Sie Ihren Sohn?«
    »Nicht sehr oft«, antwortete Bjørk, die nicht so genau wußte, welche Antwort der Arzt erwartete.
    »Dann ist die Sache klar, liebe Frau, die Rute! Die Rute, wenn er sich Sachen in die Ohren gesteckt hat, und zwar sofort, augenblickliche Bestrafung, verstehen Sie, damit der kleine Bursche nicht verwirrt wird und versteht, warum seine Eltern notgedrungen zu so entwürdigenden Maßnahmen greifen müssen!« sagte der Arzt und sah sie triumphierend an.
    »Gibt es denn wirklich keine anderen Möglichkeiten?« fragte Bjørk, und Pontoppidan lehnte sich wieder in seinem Stuhl zurück und zündete sich erneut die Pfeife an. Zunächst schien er irritiert über Bjørks Zögern, doch dann ging plötzlich ein Leuchten über sein Gesicht, und er lief zu einem der großen Eichenholzschränke, wühlte veraltete Apparaturen durch und griff nach etwas, das augenscheinlich an eine Rüstung in Miniaturausgabe erinnerte; aber laßt es uns einfach das Scheißding nennen, wie es Segelohr kurze Zeit später auch tat. Das Scheißding landete auf dem Schreibtisch des Arztes, gefolgt von einem Ausruf, der seine Begeisterung kaum verbergen konnte: »Hier ist unsere Lösung!«
    Vor Bjørk lag ein Eisenkorsett, das Pontoppidan irgendwann vor dem Ersten Weltkrieg nach genauen Studien von Dr. Daniel G.M. Schreber und Geräten gleichgesinnter Ärzte selbst konstruiert hatte. All diese Apparate hatten nur einen Zweck, sie dienten der Verhinderung der Onanie und unzüchtiger Spiele bei Kindern; Anfang der fünfziger Jahre war das Korsett also bereits ein Fossil, und Bjørk flüsterte verblüfft: »Was ist das denn?« Irgendwo, tief in ihr drin, sträubte sich etwas, aber müde vom Ohrendreck und den Wattestäbchen, deprimiert von den Problemen des Familienlebens und verzaubert von der Autorität eines überaus begabten Mediziners, ließ sie sich langsam überzeugen.
    »Natürlich kann er darin spielen, soviel er will. Er kann nur die Arme nicht über die Schulter heben«, erklärte der ältere Arzt und fügte hinzu: »Wenn Sie oder Ihr Mann in der Nähe sind, braucht der Junge das Korsett ja nicht zu tragen.«
    Ein paar Anpassungen mußten allerdings noch vorgenommen werden. Da das Korsett nicht seinem ursprünglichen Zweck dienen sollte, konnte der untere Teil glücklicherweise abmontiert werden; nur der obere Teil, der die Handgelenke miteinander verband und die Bewegungsfreiheit des Jungen einschränkte, war notwendig.
    »Sich Sachen in die Ohren zu stecken, ist keine Angewohnheit, die von den gleichen unheimlichen Kräften gesteuert wird, die die Onanie kennzeichnen«, erläuterte der Arzt, und noch einmal entzündete sich ein Funke des Interesses für sein Fachgebiet, das ihn einstmals vollkommen in Anspruch genommen hatte. »Nach ein paar Monaten wird der Junge nicht mehr daran denken, sich Dinge in die Ohren zu stecken.« Im übrigen habe er das Korsett eine Zeitlang an seinen eigenen Kindern ausprobiert, mit ausgezeichneten Resultaten: Der Sohn sei nun ebenfalls praktizierender Arzt und die Tochter mit einem Marineoffizier in Oslo verheiratet.
    »Ja«, sagte Bjørk schließlich, »lieber das als die Rute.«
    Darauf wurde Segelohr wieder ins Konsultationszimmer gerufen, inzwischen hatte er drei Ungeheuer und einen einzelnen Reißzahn auf der Wand unter seinem Stuhl im Wartezimmer hinterlassen. Zunächst nichtsahnend glücklich über sein Schicksal, als der Arzt Maß nahm und sogar noch mit dem Jungen scherzte, aber dann: Geschrei und Gebrüll. Eine bestürzte Arzthelferin, die herbeigerufen werden mußte, um beim Festhalten des Jungen zu helfen, eine resignierte Bjørk, die in eine andere Richtung schaute, und ein Arzt, der plötzlich lauthals fluchte: »Er hat mich gebissen!« Drei Blutstropfen quollen aus der Hand des älteren Herrn, und dann – das Scheißding. Und auf dem Weg nach Hause durch die Straßen Kristiansands murmelte Segelohr: »Blöde Mama«, und schaute hinunter auf den Bürgersteig, »blöde, blöde Mama.«

Überall Löcher
    W ie sieht denn der Junge aus!« polterte Askild, als er von der Werft heimkam und seinen Sohn im

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