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Hundsköpfe - Roman

Hundsköpfe - Roman

Titel: Hundsköpfe - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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Ehemanns bereits am frühen Abend heimkam, saß Segelohr mit einem Bleistiftstummel in der Hand auf dem Küchenboden und zeichnete an dem größten Ungeheuer seines Lebens. Zuerst hatte er sich in den Schrank unter die Spüle gesetzt, aber das Ungeheuer, das er aus alter Gewohnheit zu zeichnen begann, wurde weit größer als alle bisherigen, Segelohr war daher bis hinaus auf den Küchenboden gekrabbelt.
    »He«, sagte Bjørk, »was für ein häßlicher Bursche. Willst du nicht statt dessen ein paar Autos malen?«
    Anne Katrine und sein kleiner Bruder Knut mochten das neue Wesen in der Küche auch nicht. Anne Katrine traute sich nicht über die Türschwelle, und Knut fragte seine Mutter sofort, ob es lebendig sei.
    »Natürlich nicht«, antwortete Bjørk, aber als sie ihrem Sohn den Bleistift abnehmen wollte, stieß er ein so lautes Geheul aus, daß meine Großmutter ihm den Stummel sofort wieder zurückgab.
    Das Ungeheuer wuchs im Schrank und außerhalb des Schrankes. Im Laufe des Abends breitete es sich über die gesamte Küche aus und vermittelte meiner Großmutter das Gefühl, inmitten eines Spinnennetzes zu stehen.
    Im Wohnzimmer war auch Askild mit einem Gemälde beschäftigt – später wurde es Der Schlachter kommt genannt –, und ich will mich darauf beschränken, es als einen unbesonnenen Umgang mit roter Farbe zu charakterisieren. So unbesonnen, daß Bjørk die übrigen Flecken auf dem Hemd ihres Ehemannes gar nicht bemerkte, so unbesonnen, daß sie nicht einmal auf die Flecken aufmerksam wurde, die sich am Rücken des Pullovers ihres Sohnes gebildet hatten – sie glaubte ganz einfach, daß Askild auf seinen Sohn gekleckst hatte, außerdem war die Stimmung nicht nach allzu vielen Fragen. Und so pendelte Bjørk zwischen Küche und Wohnzimmer wie ein Gast in ihrem eigenen Haus. In der Küche wuchs das Ungeheuer, im Wohnzimmer nahm der wohlbekannte Geruch nach Unversöhnlichkeit zu, und der Name des Arztes Thor kam zu keinem Zeitpunkt irgend jemandem über die Lippen.
    Gegen neun schüttete Bjørk Milch in einen Topf, gab Grieß dazu, fütterte die Kleinen und brachte den Brei danach ihrem betrunkenen Ehemann, der den Teller wütend auf den Boden stieß. »Hundefraß!« brüllte er. Kurz darauf brachte Bjørk die Kleinen zu Bett. Knut glaubte noch immer, daß das Ungeheuer in der Küche lebendig wäre, und trotz mehrfacher Versuche war es ihr nicht gelungen, Segelohr den Bleistiftstummel zu entwinden. Daher entdeckte sie die blutigen Streifen auf dem Rücken des Sohnes erst, als er einige Zeit später mit dem Stummel in der Hand auf dem Fußboden eingeschlafen war. Als sie sich vergewissert hatte, daß diese Streifen tatsächlich das waren, wonach sie aussahen, brach Bjørk zusammen. Sie war kaum noch imstande zu atmen, und auf dem Küchenfußboden, neben ihrem zusammengeschlagenen Sohn sitzend, faßte Großmutter einen der wenigen großen Entschlüsse ihres Lebens.

In den verhexten Wäldern Nordlands
    B in mit den Kindern nach Nordland. Weiß nicht, wann wir wieder zurückkommen , stand auf dem Zettel, den Askild am nächsten Morgen fand. Das Haus war leer, Großmutter hatte in aller Stille gepackt, und die vier Monate, die der Aufenthalt bei Bjørks großem Bruder in Nordland dauern sollte, gehören zu der Zeit, über die in der Familie am wenigsten gesprochen wurde. Niemand erzählte gern darüber, wie die Familie fast zerbrach, und niemand hatte Lust, daran erinnert zu werden, daß Segelohr kurz nach der Ankunft verschwand und erst mehrere Wochen später wiederauftauchte. Selbst heute, nach so vielen Jahren, weicht Großmutter meinen Fragen noch immer aus, aber vielleicht liegt es daran, daß sie wirklich nichts weiß. Er verschwand als Junge und kehrte als pubertierender junger Mann zurück – das ist das einzige, was sie immer wieder sagt. Und auch mein Vater hat mir nur ein einziges Mal von seiner Wanderung in den verhexten Wäldern Nordlands erzählen wollen, aber ich weiß nicht, ob ich seinen Beitrag überhaupt verwenden kann. Bei mir haben sich Zweifel eingeschlichen, außerdem spüre ich, daß Stinne langsam wütend auf mich wird.
    »Dann mußt du eben selbst was erfinden«, sagt sie und schaut resigniert auf die weiße Leinwand. »Du kannst doch nicht jetzt mittendrin aufhören.«
    Ejlif wohnte am Rand des kleinen Städtchens Børkersjø. Direkt nach Kriegsende bekam er eine Stelle in einem Sägewerk. Einige Jahre später hatte er die Leitung übernommen und das verschlafene Sägewerk in

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