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Hundsköpfe - Roman

Hundsköpfe - Roman

Titel: Hundsköpfe - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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sich die kleinen Haare in seinem Nacken aufrichteten, und die Vettern stopften rasch ihre halbsteifen Pimmel zurück in den Hosenstall.
    »Wer traut sich, ihm in den Wald zu folgen?« flüsterte der ältere Vetter und schaute seinen jüngeren Bruder herausfordernd an.
    »Laßt uns jetzt einfach nach Hause gehen«, erwiderte der Jüngere und trat nervös von einem Fuß auf den anderen.
    »Muttersöhnchen«, zischte der große Bruder, »hast du Angst vor einer blöden Katze?«
    In dem darauffolgenden Schweigen, bis Segelohr plötzlich vortrat und sagte: »Ich trau mich schon«, hörten sie in der Ferne ein Birkhuhn schreien.
    »Das darfst du nicht«, sagte der Jüngere.
    »Quatsch«, sagte der Ältere, »der Luchs hat Angst vor Menschen. Wenn du ihm nachgehst, schleicht er zurück in den Wald. Das ist ein altes Ritual: Der Junge folgt dem Luchs in den Wald und kehrt als Mann zurück.«
    »Stimmt gar nicht«, sagte der Jüngere.
    Während die Vettern noch diskutierten, ging Segelohr auf den Luchs zu. Als er näher kam, zuckte der nervös mit den Ohren, erhob sich, drehte sich ein paarmal um sich selbst und begann, langsam in den Wald zurückzulaufen.
    »Denk daran, Abstand zu halten«, flüsterte der ältere Vetter, »du darfst ihm nicht zu nahe kommen.«
    Segelohr nickte.
    »Du mußt ganz in den Wald rein», rief der Jüngere, »sonst gilt es nicht.«
    Kurz darauf schlich der Luchs zwischen die Bäume, und Segelohr konnte seinen Körper zwischen den dunklen Schatten des Waldes nur noch schwer erkennen. »Laß die Baumgeister nicht durch dich hindurchgehen!« war das letzte, was er hörte; dann schloß sich der Wald um ihn, doch durch das Nordlicht war es noch immer möglich, sich zu orientieren. Einige Schritte später jedoch passierte es. Am Nachthimmel flammte das Licht auf wie eine explodierende Rakete und verhalf ihm zu einem letzten Schimmer des aufleuchtenden Luchses, dann wurde es vollkommen dunkel, und er sah und hörte nichts mehr. Keinen Ruf der Vettern, nur ein stilles Sausen in den Tannen, Nadeln, die herunterrieselten und im Fallen weitere mit sich rissen … Er drehte sich um und wollte wieder aus dem Wald heraus, doch schon als er zwischen die ersten Bäume trat, verlief er sich und fing an, verwirrt zwischen den Stämmen herumzuirren.
    »Verdammt«, fluchte er, »wo bin ich hier gelandet?«
    Draußen – auf der anderen Seite des Waldrandes – standen die Vettern in der Dunkelheit und riefen: »Jetzt kannst du wieder herauskommen, Niels, das ist nicht mehr lustig!« Nach einer Stunde setzten sie sich auf einen Baumstumpf, der jüngere hielt seinen älteren Bruder an der Hand, und sie waren sich sehr schnell einig, daß sie bis zum Morgengrauen warten wollten, bevor sie sich auf die Suche nach ihrem Vetter begaben.
    Als Segelohr am nächsten Morgen erwachte, lag er mit dem Kopf auf einem Kissen aus Moos und starrte in die gewaltigen Kronen der Bäume. Er hatte Hunger und begann, nach Beeren und anderen eßbaren Gewächsen zu suchen, so wie seine Vettern es ihn gelehrt hatten. In einem Gebüsch zwischen einer Birkengruppe fand er ein paar Preiselbeeren, später einige Blaubeeren, deren bitterer Geschmack ihn mit den Zähnen knirschen ließ, dann noch ein paar Pilze. Entfernt hörte er Motorengeräusche, und überzeugt, daß dort Waldarbeiter bei der Arbeit sein müßten, ging er auf den Lärm zu. Während er lief, bemerkte er, daß die Bäume größer wurden, die Steinbrocken im Waldboden wuchsen zu kleinen Felsen, die überwunden werden mußten, die Mooskissen wurden so weich, daß er bis zu den Knien einsank, und da er noch immer Hunger hatte, pflückte er dann und wann einen der Pilze, die ihm die Vettern als eßbar gezeigt hatten. Möglicherweise aß er tatsächlich die falschen – die, mit denen sie am Vortag das Birkhuhn gefüttert hatten –, denn als er einige Stunden später an die Quelle des Lärms kam, sah er eine vornübergebeugte Gestalt, die neben einem gigantischen Baum stand und mit einer von Moos überzogenen Elektrisiermaschine herumfummelte.
    »Mach, daß du in die Knochenmehlfabrik zurückkommst!« schrie die Gestalt.
    Segelohr starrte entsetzt auf seinen ehemaligen Lehrer und stürzte zurück zwischen die Bäume, in die Sicherheit des Waldes. Während er rannte, fühlte er die unzähligen Krebse, die auf dem Waldboden krabbelten, wieder hörte er in der Ferne das psychotische Birkhuhn schreien. Er spürte, daß ihn der Wald mit einem soliden Griff festhielt.
    So geschah es,

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