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Hundsköpfe - Roman

Hundsköpfe - Roman

Titel: Hundsköpfe - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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daß der Waldarbeiter eine ziemliche Angst gehabt hatte, aber der ältere meinte, nur kleine Kinder hätten etwas zu befürchten. »Also mach, daß du nach Hause kommst, Stummel!« sagte er noch und boxte seinem jüngeren Bruder in die Seite.
    »Kein Luchs heute«, sagten die Vettern zu ihrem Vater, als sie nach Hause kamen, und Ejlif breitete bedauernd die Arme aus und versprach Segelohr, daß er ihn eines Tages in einem der Werksautos zum Waldrand fahren würde. »Aber heute nacht«, fügte er hinzu, »paßt auf, ob wir nicht alle zusammen vom Nordlicht geweckt werden.«
    Zu diesem Zeitpunkt hatte Segelohr längst verstanden, daß das geheimnisvolle Gerede des Onkels über das Nordlicht seine Art war, um zu sagen: Bedaure, aber das Nordland ist nicht so interessant, wie deine Mutter es dir weismachen wollte . Er war daher ziemlich verblüfft, als er noch in der gleichen Nacht von seinen Vettern geweckt wurde.
    »Das Nordlicht ist da«, sagte der Ältere mit einer übertrieben ernsten Miene.
    Tatsächlich konnte Segelohr durchs Fenster undeutlich einen violetten Schein erkennen, der sich wie eine psychedelische Milchstraße über den Himmel zog, und er ließ sich mit ins Wohnzimmer zerren, wo die beiden Brüder ihren Vater anbettelten, in den Stubbenwald gehen zu dürfen, um sich das Nordlicht näher anzuschauen. »In Ordnung«, sagte Ejlif und sah seinen Neffen prüfend an, »aber paßt auf die Baumgeister auf!«
    »Wir lassen keine Baumgeister durch uns hindurchgehen!« erwiderten die Vettern im Chor. Es war eine feste Replik in der Familie, die sich Bjørk gleich am ersten Abend hatte anhören müssen, als sie mit ihrem Bruder im Wohnzimmer saß. »Laß die Baumgeister nicht durch dich hindurchgehen«, hatte Ejlif gesagt und meinte damit den Trübsinn, die Verzweiflung. Die Baumgeister durch sich hindurchgehen zu lassen, bedeutete, sich den dunklen oder verborgenen Seiten seiner Erfahrungen zu überlassen.
    Draußen leuchtete das Nordlicht kräftiger, aber nicht kräftig genug, um die Landschaft zu erhellen. Die Vettern sprangen von Baumstumpf zu Baumstumpf – ein Kunststück, das sie selbst im Dunkeln ausführen konnten –, während Segelohr hinter ihnen herhastete. Hin und wieder stolperte er über die Stubben, dann wieder riß er sich sein Schienbein an ihnen auf und fluchte aus Angst, daß die Vettern ihm davonlaufen könnten.
    »Baumgeister, alle Wesen des Waldes!« schrien sie. »Kommt nur her!«
    Unter einem phosphoreszierenden Himmel dahinjagend, gezwungen zu einem unbekannten Hindernislauf und mit Blick auf die wahnsinnigen Vettern fünfzig Meter vor sich, verlor Segelohr bald die Orientierung. Mit einemmal waren die Vettern verschwunden, und er konnte nur noch ihre Stimmen hören. Eine kleine Ewigkeit irrte er allein in dieser verhexten Landschaft umher, bevor er sie wieder hinter einer kleinen Hügelspitze entdeckte.
    »Wenn man sich unter dem Nordlicht einen runterholt«, rief der ältere Vetter, »wächst einem der Schwanz mehrere Zentimeter, und das Sperma leuchtet von selbst!«
    » ABER NUR, WENN MAN ERSTER WIRD !« schrie er, und noch bevor Segelohr sich versah, hatten die Vettern die Hosen in den Kniekehlen, und gebadet vom violetten Schein des Nordlichts, rubbelten beide an ihren Pillermännern, um der erste zu sein, der einen in der Nähe liegenden Baumstumpf traf.
    »Ihr seid verrückt«, brachte Segelohr gerade noch heraus, da vollzogen die violetten Himmelsstreifen eine seltsame Wandlung und durchliefen sämtliche Farben des Regenbogens, bis sie sich auf ein klares türkises Licht festlegten, das die gesamte Landschaft erhellte. Segelohr schnappte nach Luft. Wie geblendet von dem magischen Anblick stand er da, während die Vettern juchzten, doch das war nichts gegen den Anblick, der ihn erwartete, als er sich umdrehte. Nicht mehr als hundert Meter hinter ihm erhob sich der Wald wie eine gigantische Mauer. Mitten in seiner Überraschung konnte er nichts gegen den Gedanken tun, daß der Wald von ihrem nächtlichen Angriff überrascht worden war und es ganz einfach nicht mehr geschafft hatte, vor ihnen zurückzuweichen.
    »Wau!« schrie der ältere seiner Vettern. »Das ist er!« Segelohr glaubte, er rede vom Wald, doch nicht der Anblick des dunklen Waldes beeindruckte die Vettern. Sie waren von etwas ganz anderem fasziniert, denn direkt am Waldrand, nicht weiter als zwanzig Meter von ihnen, saß ein Luchs mit langen, pinselförmigen Ohren und starrte sie träge an. Segelohr spürte, wie

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