Hundsköpfe - Roman
ein verhältnismäßig erfolgreiches Unternehmen verwandelt. Der Wald, in dem Segelohr verschwand, schien daher anfangs einigermaßen überschaubar: große Bereiche abgeholzt, ganze Regionen übersät mit Baumstümpfen, nackte Felswände, die zunächst einen entmutigenden Eindruck auf die Familie machten. Überhaupt schien Børkersjø mit seinen wenigen Straßen ein trauriger Ort zu sein, und keines der Kinder konnte sich in Bjørks märchenhaften Beschreibungen ihrer Kindheitssommer in Nordland wiederfinden. »Keine Schiffe«, murmelte Knut, den der Anblick der Prahme überhaupt nicht beeindruckte, die die überschüssigen Baumstämme den Fluß herunterbugsierten, und Ejlif, der die Enttäuschung der Kinder bemerkte, versuchte beharrlich, sie aufzumuntern.
»Wenn man bis in die Nähe des Waldrandes geht, kann man Luchse sehen«, behauptete er gern, und wenn das die Stimmung nicht hob, guckte er sie geheimnisvoll an und sagte: »Bald ist die Jahreszeit des Nordlichts.«
Da die gewöhnlichen Naturphänomene nicht mit der Magie vergleichbar waren, die Bjørks verlorene Kindheitssommer funkeln ließen, sah er sich eines Abends gezwungen, auf Räuberpistolen zurückzugreifen. »Es heißt, in den Wäldern spukt es«, erzählte er. »Es gibt einige, die eine Gestalt gesehen haben, die zwischen den Bäumen herumwandert; einmal ging sie direkt durch einen Mann hindurch, innerhalb einer Nacht bekam er weißes Haar. Es heißt, es sind Waldgeister, die heimatlos geworden sind, weil wir die Bäume gefällt haben.«
»Genau wie wir«, sagte Knut und warf die Pfeife des Onkels aus dem Fenster.
Auch die beiden Söhne Ejlifs waren versessen darauf, Segelohr die Mysterien Nordlands zu zeigen; sie nahmen ihn mit hinaus in die Stubbenwälder, wo sie ihn schon bald überredeten, seinen Pullover auszuziehen, damit sie sich die weißen Streifen auf seinem Rücken genauer ansehen konnten. Sie trugen Wettkämpfe aus, wer am schnellsten über die Baumstümpfe laufen konnte, ohne dabei den Boden zu berühren, und sie brachten ihm bei, welche Beeren eßbar waren, welche Pilze einen süßlichen Geschmack auf der Zunge hinterließen und um welche man einen großen Bogen machen sollte, weil nur ein einziger Bissen jemanden wochenlang in einen tranceartigen Zustand versetzen konnte.
»Diese Geschichte von den Baumgeistern«, sagte der jüngere Vetter eines Tages, »der Mann hat garantiert einen falschen Pilz gegessen und ist total durchgedreht.«
Und obwohl die Vettern sich vorgenommen hatten, Segelohr mit an den Waldrand zu nehmen, um ihm die seltenen Luchse zu zeigen, gelangten sie nie ganz dorthin. Immer war der Waldrand zu weit weg. Ein paarmal, wenn sie stundenlang gewandert waren, konnten sie ihn in der Ferne sehen, eine Mauer aus Bäumen, ein vibrierender Organismus im Nebel. Nachdem er einige Wochen in Nordland war, hatte Segelohr den Eindruck, daß der Wald sich bewegte und daß er überhaupt nicht zu erreichen war. Auch seine Vettern schienen dieses Gefühl zu haben und ließen sich daher die ganze Zeit von anderen Dingen ablenken. Sie konnten urplötzlich auf die Idee kommen, ihm zu zeigen, wie man mit einer kleinen Schlinge eine Maus fing. Sie führten ihm vor, wie man sich an Birkhühner heranschleicht, und brachten ihm bei, den Brunstschrei des Auerhahns nachzumachen. Ein anderes Spiel schien sie auch sehr zu beschäftigen. Sie gruben ein Loch in die Erde, und der ältere Vetter rief: »Jetzt!« Dann rissen sie sich die Reißverschlüsse auf, ließen die Hosen herunter und rubbelten an ihren Pillermännern, bis einer von ihnen einen milchigweißen Klacks in das Loch spritzte.
Eines Tages gelang es dem jüngeren Vetter, ein Birkhuhn zu fangen: »Das soll die Baumgeister sehen!« schrie er und sammelte eine Handvoll kleiner Pilze, die er dem verängstigten Birkhuhn in den Hals stopfte, wobei er es fest auf das Gekröse drückte. Als sie es freiließen, rannte es verwirrt zwischen den Baumstubben herum, aber vor Menschen hatte es offensichtlich keine Angst mehr. Dagegen schien etwas anderes das Huhn zu erschrecken, etwas Inneres, das es lauthals krähen ließ. »Baumgeister!« johlte der jüngere Vetter. »Nur der Alte glaubt an solchen Quatsch!« Sie konnten den Schrei des Birkhuhns noch den gesamten Nachmittag über hören, doch die Vettern ließen sich von dem psychotischen Huhn nicht weiter stören und erzählten statt dessen von einem Waldarbeiter, der am Vortag einen Luchs gesehen hätte. Der jüngere Vetter war sicher,
Weitere Kostenlose Bücher