Hundsköpfe - Roman
daß Segelohr sich den verhexten Wäldern ergab. Nachdem ein überraschter Waldarbeiter erlebt hatte, wie der verschwundene Junge erschrocken zurückwich, wurde er nicht mehr gesehen, bis er einige Wochen später wieder in Børkersjø auftauchte. Mit einer Nahrung, die aus Beeren, Wurzeln und diversen Pilzen bestand – darunter keine geringe Anzahl von Psilocybinpilzen, die er irrtümlich für eßbar hielt –, verirrte er sich in seinem eigenen inneren Wald. In den ersten paar Tagen lief er herum wie ein Prinz mit einer kosmischen Vision von einem goldenen Topf am Ende des Regenbogens, als Hintergrundmusik hörte er den Gesang seiner Mama über eine leuchtende Zukunft. Schon bald aber begann ein ekelhafter Gestank nach Fäkalien seine Vision zu beeinträchtigen, Bluthunde heulten in der Ferne, und nachts, wenn das Nordlicht Funken schlug, sah er unwahrscheinliche Schatten eines hageren Mannes, der sich mit einem entsetzten Ausdruck im Gesicht über ihn beugte und ihn beschuldigte, der Sohn eines Mörders zu sein.
Noch zudringlicher als der dürre Mann war Raffzahn, dieser lügenhafte Prophet, der sich bei jeder Gelegenheit zeigte, um seinem Urenkel die letzten Reste seiner unsympathischen Philosophie einzuflößen.
»Bleib weg von mir!« schrie Segelohr und warf Zweige und Steine nach dem verschmähten Geist. »Ich will dich nie wiedersehen!«
Sich rechtfertigend, fing Raffzahn an, von Münzen zu reden, die erneut regnen würden, von Gold, das allmählich den Weg auf den Boden der Kisten fände – verdammt noch mal, du hattest dir doch wohl nicht vorgestellt, daß alles so einfach wäre! fluchte er, doch Segelohr gab seinem alten Freund keine Handbreit nach.
»Hau endlich ab!« schrie er, und während er mit Raffzahn stritt, spürte er, wie sein Glied wuchs, sich Haar den Weg durch die Haut bahnte, die Muskeln sich dehnten und die Knochen arbeiteten.
Such dir doch dein eigenes Fahrwasser, Bürschchen! murmelte der verschmähte Geist schließlich und verschwand zwischen den Bäumen, und seither sah oder hörte Segelohr nie wieder etwas von seinem Urgroßvater, bis er ihm viele Jahre später auf den kalten Gipfeln des Mount Blakhsa erschien. Doch bevor er sich im Schein des Nordlichtes ganz auflöste, drehte er sich noch einmal um und sagte: Gib’s doch zu, Bürschchen: Wir hatten unseren Spaß!
»Hau ab!« brüllte Segelohr, und sobald der letzte Geist verschwunden war, sah er, wie zwei bezaubernde Mädchen auf ihn zutanzten. Die eine, deren Schönheit überwältigend war, war blond wie eine Birke; die andere hatte ihr brünettes Haar zu einer eigenartigen Frisur aufgesteckt. »Keinen Humor, was?« flüsterte die Blonde. »Verabschiede dich ordentlich von deinem Urgroßvater, du wirst ihn nicht wiedersehen.«
Laut feixend verschwanden auch die beiden Mädchen, doch im Gegensatz zu den alten Geistern kehrten sie immer wieder zurück. Sie kitzelten ihn mit einer Feder unter den Füßen, wenn er schlief. Sie streuten ihm zerbröselte Blätter in die Augen. Sie boten ihm farbenprächtige Psilocybinpilze an, so saftig wie Mangos. Segelohr erkannte rasch, daß die Blonde die Anführerin des Unfugs war. Zweifellos war sie die eifrigere und schalkhaftere seiner beiden Traummädchen, und jedesmal, wenn er sie berühren wollte, verschwand sie. Die Brünette hingegen nahm ihn in ihre Arme, bot ihm an, mit seinem Kopf in ihrem Schoß zu schlafen, und schließlich schien es zu einer Art Rivalität zwischen den beiden Mädchen zu kommen. Wann immer Segelohr mit dem Kopf im Schoß der Brünetten lag, tauchte die Blonde hinter den Bäumen auf und lockte ihn mit ihrer spöttischen Stimme, das brünette Mädchen wurde so böse, daß sie mit einem Stein nach ihr warf, ihr Schimpfworte zurief und sich selbst aus lauter Enttäuschung die Haare raufte.
Doch sobald die Brünette nicht da war, beugte sich die Blonde an sein Ohr und flüsterte: »Laß uns zusammen abhauen!«
Segelohr nickte begeistert – »Hauen wir zusammen ab«, wiederholte er –, einen Augenblick später war die Blonde allerdings wieder verschwunden. Er hörte ihr gespenstisches Lachen zwischen den Bäumen, häufig gefolgt von den Geräuschen einer Balgerei, wenn die beiden Mädchen aufeinander losgingen. Die Stimmung zwischen ihnen begann ihm schon bald auf die Nerven zu gehen. Er forderte sie auf, sich zu vertragen, fühlte sich jedoch gleichzeitig durch ihre Rivalität geschmeichelt. Er bat sie, woanders hinzugehen, um sich zu prügeln, genoß aber
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