Hundsköpfe - Roman
abgehackten Sätze. Nein, eher waren es die Dinge, die er sagte, wenn Bjørk nicht dabei war, wenn sie an einer halbgeöffneten Tür vorbeikam und im Vorübergehen die Fragmente eines Gesprächs mit Ejlif aufschnappte, unvollendete Sätze, die sie selbst weiterspinnen mußte. Sie war umgeben von Freiern, aber sie spürte, daß ihre Wahl sie für immer an die Patriziervilla am Kalfarvei fesseln würde, egal, für wen sie sich auch entschied. Als sie eines Abends spät an Ejlifs Zimmer vorbeiging, hörte sie die Bruchstücke einer Unterhaltung, in der es um ferne Hafenstädte, Meerschaum und Tabakrauch ging. Sie blieb im Flur stehen, völlig verzaubert von der Welt, die sich ihr eröffnete. Bjørk wunderte sich, daß dieser junge Mann, den Line und sie »Askild Außersich« oder »Der stumme Trottel« getauft hatten, solche Abgründe in sich hatte; wie konnte er so erfahren sein in den physischen Kunstgriffen der Liebe, wenn er sich in Gesellschaft so hoffnungslos benahm, daß er nicht einmal ein Kompliment über ihr Kleid machen konnte, ohne zu stammeln und zu erröten. Bald begann sie, sich abends nach oben zu stehlen, wenn Mutter Ellen ins Bett gegangen war und Vater Thorsten sich in sein Arbeitszimmer zurückgezogen hatte. Sie umschlich Ejlifs Zimmer und den dünnen Lichtstreifen, der zusammen mit den Bruchstücken einer Erzählung aus fremden Welten in den Flur floß.
Und als er das nächste Mal bei Tisch Elchsuppe verschüttete, legte sie ihre Hand auf seinen Arm und sagte: »Mach dir keine Gedanken, Askild, ich mache das schon.« Askild murmelte »danke« – es war das einzige, was ihm einfiel, und Bjørk hoffte, er würde etwas mehr zu ihr sagen. Doch Askild klappte zu wie eine Auster, und auf diese Weise verliebte sich Bjørk allmählich in sein unsichtbares Ich, während er sich längst in ihr sichtbares verliebt hatte.
In dieser Phase begann er mit seinen ersten Schmuggel- und Schwarzmarktgeschäften. Wenn er im Sommer in den Semesterferien auf See war, brachte er, wie die übrige Besatzung auch, zollfreie Waren mit nach Hause. Anfangs ausschließlich für den Eigenbedarf, doch als ihm eines Tages ein Matrose von einer illegalen Kneipe mit dem Namen Der fröhliche Zirkuswagen erzählte und ihm zeigte, wie man einen Liter Whisky im Boden eines Rettungsbootes verstecken konnte, begann Askild, langsam die Möglichkeiten zu erkennen. Als er beim nächsten Mal von See kam, setzte er seine heimliche Fracht für fünfzig Kronen ab. Nach dem Bruch mit seinen Eltern eine dringend benötigte Vitaminspritze für seine schwächelnde Ökonomie. Wenn die Sache allerdings einen Sinn haben sollte, dann waren einmal im Jahr fünfzig Kronen einfach nicht genug. Askild schlenderte durch die Stadt, während er große Pläne für seine Zukunft schmiedete, und noch am selben Abend suchte er den rothaarigen Matrosen auf, der ihm gezeigt hatte, wie man zehn Liter Schnaps in einem Rettungsboot versteckte. Der Russe, wie er aufgrund seiner Abstammung genannt wurde, empfing ihn herzlich, und sie verbrachten einige feuchte Stunden zusammen, bis Askild mit seinem Vorhaben herausrückte.
»Du bist verrückt«, reagierte der Russe, als Askild ihm seine Pläne erläutert hatte. »Wieso sollte ich das riskieren?«
Askild lächelte. In der Sache lag Geld genug für beide. »Vertrau mir«, sagte er nur, und für die nächsten paar Jahre sollte dieser Satz zu seinem Mantra werden.
»Wohin willst du es verkaufen?« fragte der Russe skeptisch.
»Laß das meine Sorge sein«, fuhr Askild fort, der noch nicht so recht wußte, wer ihm die Schmuggelware abnehmen sollte. Überhaupt waren seine Pläne längst nicht so perfekt durchdacht, wie er es dem Russen weismachen wollte. Doch als einen Monat später die Ladung im Hafen einlief, stand Askild am Kai und hielt Ausschau nach dem Russen, der ihm siebzehn Flaschen Rum, sechzehn Flaschen Whisky, einundzwanzig Flaschen Linie Aquavit sowie eine ansehnliche Menge Zigaretten liefern sollte. Daß der Russe gut ein Drittel des Schnapses ausgesoffen hatte und außerdem so laut sang, daß alle ihn anstarrten, war ein Fehler in der Rechnung, doch Askild blieb noch immer ein kleiner Gewinn. Als das Schiff einen Monat später wieder in den Hafen einlief, hatte der Russe erneut schwer geladen, diesmal fehlte beinahe die Hälfte. Askilds Wut hielt sich jedoch in Grenzen. In der Woche zuvor hatte er eine Vereinbarung mit Erik Rotbart getroffen, einem Finnlandschweden mit dänischen Wurzeln, der Askild helfen
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