Hundstage
Hier kaufte er sich ab und zu Broschüren, die ihn in stillen Stunden erfrischten. Er kaufte übrigens nie jene Glanzschriften in Vierfarbdruck, in denen ohne Phantasie viel Fleisch in akrobatischer Aktion gezeigt wurde, dem anatomischen Mord-Atlas von Kindermann & Jacobs nicht unähnlich, sondern sehr Spezielles, das es auch hier leider nur selten zu kaufen gab. Er neigte, was Sexuelles anging, Gewaltsamem zu oder dessen Gegenteil.
An diesem Tag war der Laden leer, am Eingang saß ein junger Mann, der Kleingeld zählte. Über ihm ein runder Spiegel, in dem er die Käufer beobachten konnte, in diesem Falle also Sowtschick, wie er hinter schwarzen Höschen und abnormen Sexualprothesen in Anregungsschriften blätterte. Die Tür stand offen, und von draußen aus der heißen Straße drang das Geschrei zweier Jungen herein sowie das An-und Abbrummen eines schweren Müllasters.
Als Sowtschick an die Kasse trat, ein unscheinbares Heft in der Hand mit einer einzigen Zeichnung darin, die irgendwie erwähnenswert war, guckte ihn der junge Mann scharf an. Ob er sich irrt, oder ob er vielleicht der Herr Sowtschick ist? Er habe schon gedacht: Das ist doch der Herr Sowtschick? Er sei nämlich Student der Germanistik und habe alle seine Bücher gelesen, «Malchus lebt», «Kosel» – er zählte sie an den Fingern her – und vor allem das letzte, «Hetzjagd in Andante». Er sei sogar soweit gegangen, das Nocturne nachzuspielen, das in dem Buch erwähnt wird, und ihm sei infolgedessen nicht entgangen, daß die «Hetzjagd» nach den Modulationen dieses Klavierstücks gearbeitet sei. Ob Sowtschick öfter mal komme, dann müsse er ihm seine Bücher signieren, schon ganz schön zerfleddert, alle. Seine Freundin sei auch schon angetörnt.
Dies war nun nicht sehr angenehm, und als Sowtschick gar eine Tasse Kaffee angeboten bekam in dem nach Sperma riechenden Laden, machte er, daß er wegkam. Er stotterte was von «Studien treiben» und «Recherchen für neuen Roman» und steckte das Heft zu dem Manuskript des Azubis in die Innentasche seines Leinenjacketts, nahm eine Taxe und fuhr an die Elbe, wo Carola Schade wohnte.
Das hatte ihm noch gefehlt, daß dieser junge Mensch in der Hochschule verbreitete, Sowtschick kauft Pornos. An dem Erzähler Holderbusch hätte das niemand bemerkenswert gefunden, der hatte sich selbst als einen Zuhälter bezeichnet und Boxen als Hobby angegeben, ohne daß ihm das geschadet hätte. Wie sollte Sowtschick je den Ludwig-Tieck-Preis bekommen, wenn es ruchbar würde, «dieser Mann geht in Porno-Shops».
H offentlich ist sie nicht da, dachte Sowtschick, als ein Skeptiker, der sich gern angenehm enttäuschen läßt. Sie war aber doch da, seine Freundin Carola Schade, sie kam ihm in Ibiza-Haltung entgegen: «Wie ham wer’s denn?» und begrüßte ihn mit einem nach Puder schmeckenden Kuß, Chanel No 5, wobei sie hinter ihn guckte, ob nicht vielleicht noch jemand mitgekommen ist.
Die sechsunddreißigjährige Carola Schade, in khakifarbenem Hosenrock und Ledersandalen – rissige Fersen und je drei krallige Zehen, rotlackiert –, war mit einem mediokren Mann verheiratet gewesen, Pilot oder Schiffsoffizier, von dem sie sich rasch hatte scheiden lassen. Trotz besten Aussehens hatte er sich im Bett als unfähig erwiesen, wie Carola lachend immer wieder erzählte, und zwar jedem, der es hören wollte, was ihr andere Männer vom Leib hielt. Für die kurze Zeit des Zusammenlebens mußte er noch immer zahlen. Manchmal fuhr er, wie beobachtet worden war, an Carolas Haus vorüber, schleichend langsam. Und einmal hatte er sogar an ihrer Tür geklingelt.
Wohnen tat sie verwunschen. Das kleine, von der Baubehörde niemals genehmigte Haus war ursprünglich ein Gartenhäuschen gewesen, zum Kaffeetrinken Sonntag nachmittags. Die Eltern hatten es sich nach ihrer Ausbombung zunächst provisorisch, dann komfortabler ausgebaut: Wasser, Licht und Gas. Und nun wohnte Carola Schade an der Elbe, und alle Leute sagten: «Wie hast du es hier schön!»
Am Fenster des kleinen, kajütenartig anmutenden Wohnraums, in dem es ein wenig nach Teer roch, saßen die beiden dann vor der Fototapete «Herbstwald mit Sonnenstrahl» zu Jacques Loussiers Bachgeklimper und aßen Brote mit «Du darfst»-Marmelade und Fedecocagua-Honig aus Guatemala: «Naturbelassen – kaltgeschleudert». Die Sträucher des ungepflegten Gartens, in denen fahle Plastikfetzen und Stroh vom letzten Hochwasser hingen, verdeckten die Fenster, nicht aber die
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