Hundstage
… Warum hatten diese Leute nicht grün aufblinkende Signale mit «Danke!» hintendran? Wenn es solche Signale gebe und wenn er einen Porsche hätte, dann würde er sich jedenfalls ein solches Schild angeschafft haben. Unverständlich auch, daß die Polizei nicht so was einführte: kurz mal «gut gemacht!» herüberblinken, statt immer nur Knöllchen zu verteilen.
Sowtschick liebte den sanften Schwung der Straßenführung und die sich in die Landschaft einfügenden Brücken, an denen leider ab und zu politische Parolen standen, die ihn ärgerten. Er fühlte sich durch sie belästigt. Er dachte immer, man könnte die Brücken vielleicht von Amts wegen dazu verwenden, den Autofahrern Gedichte einzuprägen.
Füllest wieder Busch und Tal …
auf der ersten Brücke, und auf der nächsten:
… still mit Nebelglanz …
Zwischen Bremen und Hamburg also: «An den Mond» und für die Rückreise Mörike: «Du bist Orplid, mein Land, das ferne leuchtet». So was müßte der Verkehrsminister einführen, um zivilisatorische und kulturelle Leistungen miteinander zu verbinden. Wer das in sich aufnahm, würde doch auch politisch richtig handeln.
Denken ließen sich für die Autobahnen auch künstliche Aufrauhungen des Straßenbelags, die bei richtiger Geschwindigkeit Rhythmen hören ließen: Walzer oder Tangos, was gut gegen Ermüdungserscheinungen wäre.
Leider bedrängte ihn kurz vor Hamburg, als er sich der schönen Aussicht hingeben wollte, ein X-beiniger Mercedes mit Friedenstaube an der Scheibe, überholte ihn und stoppte ihn danach durch extrem langsames Fahren. Menschen saßen drin, die ihn durch Gesten fragten, ob er hier einschläft? Wohl völlig bescheuert?
Dann geriet er in einen Pulk von Lastwagen, Leiter unter der Ladefläche und Ketten und Eimer, die den Ehrgeiz hatten, obwohl es leicht bergan ging, einander brüllend zu überholen. Er kam sich zwischen diesen Riesen wie ein Zwerg vor. Vielleicht, dachte Sowtschick, unterhalten sich diese Kerle jetzt miteinander und amüsieren sich über dich? Er machte diesem Spuk durch starkes Beschleunigen ein Ende.
Ein Hubschrauber mit POLIZEI stand über dem Maschener Kreuz. Wenn alles vorüber ist, dachte Sowtschick, dann werden die Autobahnkreuze von unserem Leben zeugen, wie die Cheopspyramiden. Und dann stellte sich die Vision ein, daß Gras den Asphalt gesprengt hat, die Verkehrsschilder von Ackerwinde umrankt: In der Ferne die ausgeglühte Stadt mit Alsterdampfern, die vor sich hin rosten. Seinen großen Kollegen aus Bargfeld sah er mit einem Fahrradanhänger auf der Autobahn dahinstrampeln, und er sagte laut: «Jawohl, so wird es kommen.» Und gegen das, was kommen würde, wäre das brennende «Fron-Hus» nichts.
Unter solchen Gedanken gelangte er nach Hamburg. Für bedauerlich hielt er es, daß bei der Einfahrt keine mautartige Waschanlage installiert war. Er hätte sich gern präpariert auf diese Stadt, denn er liebte sie. Er zog die Krawatte fest, um die Strieme an seinem Hals zu verdecken, und er freute sich für die Kaufleute, bei denen er jetzt das eine oder andere kaufen würde. Menschen, die dann vielleicht am Weihnachtsabend ihrer Gattin ein Buch von ihm unter den Baum legten.
Sowtschick stellte den Wagen in einem nach Urin riechenden Parkhaus ab und ging in die City, in der zu dieser Tageszeit nicht allzuviel los war, von einzelnen Skandinaviern mal abgesehen, die vor Spirituosenläden standen und ihr Geld zählten. «Alexander!» hörte er es über die Straße rufen: «Alexander !» Aber er achtete nicht darauf, das kannte er schon, es war wieder mal seine Mutter, die ihn rief, und die war ja schon lange tot.
Auf dem durch postmoderne Glasbauten verunstalteten Rathausmarkt betätigte sich ein vom Senat angestellter junger Mann als Pantomime, der sollte wohl die Innenstadt beleben. Wie man Johannisbeeren ißt, führte er vor, diese alte Geschichte.
«Alexander!»
Der Rathausmarkt: Zwanzig Jahre war es her, daß man ihn hier ausgepfiffen hatte. WERKTAG UND LITERATUR. Er sah die verhetzte Jugend noch vor sich, am Schlips hatten sie ihn gerissen! Und Holderbusch hatte ihm mit erhobener Faust signalisiert, daß jetzt andere Zeiten nahen, in denen kein Platz mehr ist für Typen wie ihn.
Sowtschick ließ sich treiben in Richtung Jungfernstieg. «Alexander!» An den Fußgängerampeln bei Rot erlebte er es zu seiner Freude, daß die Leute, die auf der gegenüberliegenden Straßenseite auf Grün warteten, seinen Namen mit den Lippen formten: «Da
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