Hundstage
verunstaltet, Goldzähne und Tweedjackett, der hatte mitgekriegt, daß hier was vor sich ging.
«Ah! Großer Meister!» rief er, packte Sowtschick mit der Linken am Oberarm und schüttelte ihm die Hand. «Was kann ich für Sie tun, großer Meister?» Anstatt ihn danach freizugeben, hielt er ihn weiter gepackt und sah sich um, ob nicht ein Kunde im Laden sieht, wie intim er mit Alexander Sowtschick ist. Am Tresen stehend und am Arm gepackt, mußte Sowtschick sich anhören, daß der Buchhändler vor einundzwanzig Jahren sein allererstes Buch verschlungen habe, «Handbreit vom Wege», eine ganze Nacht durchgelesen und dausendmal verkauft. So etwas solle er mal wieder schreiben, so in dieser Art. Er habe damals zu seiner Frau gesagt: «Genau so ist es gewesen!» Im Grunde genommen hätte er das Buch auch schreiben können, wenn er hätte schreiben können.
«Haben Sie mal wieder was in der Mache, großer Meister?»
Noch ehe Sowtschick davon reden konnte, daß er jetzt im Hochsommer eine Geschichte schreibt, die von eisiger Kälte handelt, sagte Herr Kindermann, dessen Zahnbrücken ganz offensichtlich von den verschiedensten Ärzten zu unterschiedlichsten Zeiten gemacht worden waren, daß neulich Holderbusch dagewesen sei, «ein wunderlicher Mann, aber doch wohl der beste Erzähler, den wir momentan haben …». Der habe einen breitkrempigen Hut getragen und wissenschaftliche Bücher über Atomreaktoren verlangt. «Ich kann an nichts anderes mehr denken als an Halbwertzeiten», habe er gesagt.
Es sei doch gut, daß es ihn gibt.
In diesem Augenblick klingelte das Telefon, der Buchhändler ließ Sowtschick endlich los und erbat zähnefletschend Dispens, und da die Buchhändlerin damit beschäftigt war, einer älteren Dame den Falk-Plan von Lübeck zu verkaufen, schob sich Sowtschick an einem überlangen Azubi vorüber ins Freie. Der junge Mann hatte die Haare kurz geschoren, und im linken Ohr trug er einen silbernen Ring. Vermutlich ein Zivildienst-Mensch, dachte Sowtschick und übersah es, daß dieser mit ihm sprechen wollte. Als Sowtschick nicht reagierte, kam der junge Mann hinter ihm hergelaufen, es sei ihm peinlich, aber er habe hier was aufgeschrieben, ob Sowtschick wohl mal prüft, ob das was ist?
Sowtschick gab sich mürrisch, steckte die Papiere ein und machte sich davon. Das hatte er längst gelernt, daß auch ein noch so herzliches Gespräch mit Buchhändlern den Absatz der Bücher nicht hebt.
Sowtschick setzte sich an die Alster und sah den Seglern zu, den Paddlern und den Ruderern.
Holderbusch! Eine hämische Kritik hatte dieser Mensch in einer extremen Zeitschrift losgelassen, in der war das Wort «bumsen» vorgekommen, Sowtschick habe wohl zuviel gebumst, das merke man seinem neuesten «Erzeugnis» an. Das war nun schon über fünfzehn Jahre her, und Sowtschick konnte es nicht vergessen. Das zahle ich dir heim, dachte er, wart nur ab, die Gelegenheit kommt schon noch.
Ein Vierer pullte vorüber, und dann kam ein Tretboot mit einem sehr gerade sitzenden Papa und seiner kleinen Tochter, «Ehen vor Gericht»: Vermutlich ein geschiedener Mann, der hier seinen ihm zugebilligten Sprechtag mit der Tochter runterriß, eine Zeremonie, die wahrscheinlich beiden zum Halse raushing.
Daß man ihm das Handwerk legen wollte, hatte Hollerbusch geschrieben, in einer neu formierten Gesellschaft sei für Sowtschick kein Platz, da werde man ihn hinwegfegen.
Das bunte, in der Sonne blinkernde Treiben sah Sowtschick, und er stellte sich die modrige, finstere Wassertiefe unter dieser sonnigen Oberwelt vor, in der einzelne verschreckte Fische in dem von Infusorien getrübten Schlammwäldern ihresgleichen suchen. Die junge bettelnde Frau ging ihm nicht aus dem Kopf, wo mochte er ihr schon mal begegnet sein? Vielleicht hätte er ihr doch besser fünf statt zwei Mark geben sollen?
Sowtschick musterte die Vorübergehenden: blonde Schülerinnen – Gesellschaft für Sport und Technik –, eine schwarzhaarige Exotin mit zwei schwarzhaarigen Kindern, ein Liebespaar, ineinander verschlungen wie zwei kopulierende Nacktschnecken, und drei uniformierte hanseatische Herren, graue Hose, blauen Blazer, wunderlicherweise Eis aus der Hand schleckend: Wirtschaft aktuell.
Das alles plätscherte so an ihm vorüber, und als er genug davon hatte, trieb es ihn in die Lange Reihe, eine Straße mit Trödlern, Kneipen, Ramschläden, Spielhallen und einem TAUSEND-TÖPFE-Geschäft, in der sich ein leistungsfähiger Porno-Shop befand.
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