Hundstage
drüben steht Sowtschick …»
So bin ich denn also doch noch nicht abgemeldet, dachte er, und er gab sich ein unbekümmertes Aussehen: «Es mag sein, wie es will, Sowtschick läßt sich nicht unterkriegen … », sollten die Leute denken, «solange wir Sowtschick haben, ist noch nicht alles verloren.»
Unter den Alsterarkaden gab es ein Spielwarengeschäft, «Kinderparadies» genannt, in dem kaufte er die Schlachtschiffe «Scharnhorst» und «Gneisenau» sowie den schweren Kreuzer «Prinz Eugen». Das Unternehmen «Cerberus»: In eine Vitrine würde er sie stellen, indirekt beleuchtet. Die Verkäuferin, es war eine ältere Dame, kannte sich zwischen all den Kriegsschiffen sehr gut aus. «Hier kommen öfter ältere Herren», sagte sie.
Dann sah er sich Automodelle an, sogenannte Oldies, die in seiner Kindheit als hochmoderne Fahrzeuge bestaunt worden waren. Immer hatte er vor, sich eine kleine Sammlung davon anzulegen, den weißen Vorkriegshorch, zum Beispiel, den sein Onkel in Berlin besessen hatte (Ferien in Ahrenshoop). Seitdem es Oldie-Sammlungen jedoch en bloc zu kaufen gab, in Koffern zum Herumzeigen, hatte er davon abgelassen.
Out! Out!
Alles vorbei …
Irgendwann einmal würde er eine Mini-Trix kaufen, diese winzige, streichholzschachtelgroße elektrische Eisenbahn: Hierin kulminiert unser Zeitalter, dachte er, das wird es in einigen Jahren, wenn die große Not hereinbricht, nicht mehr geben.
Was die «große Not» betraf, so erinnerte an sie eine junge Frau, die vor dem Alsterhaus saß und bettelte:
ICH HABE HUNGER
Männer, nun, die sah man häufiger betteln, entlassene Strafgefangene oder Obdachlose. Aber eine junge deutsche Frau von gar nicht so unproperem Aussehen? Die Frau erinnerte ihn an jemand, er wußte nicht, wo er sie hinstecken sollte. Zwei Mark gab er ihr – sie schaute kaum auf.
An einem der zahlreichen, um diese Tageszeit meist verschlossenen Verkaufsstände kaufte er dann noch zwei rosa Plastik-Schäfchen, die mit dem Schwanz wackelten, wenn man den Sockel bewegte. Irgend etwas mußte er seinen Mädchen mitbringen, und da war Mumpitz grade das richtige. Bei ernsthafteren Objekten hätte er zuviel Geld ausgeben müssen.
Dann betrat er die Buchhandlung Kindermann & Jacobs. Nachdem er vorne auf dem Neuheitentisch mit raschem Blick die Anthologie «Große Erzähler der Gegenwart» bemerkt hatte, in der er selbst nicht vertreten war, sah er sich in der forensischen Abteilung den Mord-Atlas an. Neuerdings gab es den in Farbe. Erstochene und Erhängte waren darin zu sehen, zerfleischte Frauen, fingierte und tatsächliche Selbstmorde mit Erklärungen. Ein Betrunkener, der mit dem Hals in die Lattengabel eines Jägerzauns gefallen ist und sich erdrosselt hat.
Ein Tod war in diesem Buch beschrieben, der Sowtschick zu schaffen machte, der Tod eines Mannes, der in die Kellerluke kriecht, weil er seinen Haustürschlüssel vergessen hat, und steckenbleibt. Niemand hört, wie er schreit, fleht und ächzt, und so stirbt er, halb drinnen, halb draußen. Diese Sache war Sowtschick wegen der Einengung so unangenehm, die erinnerte ihn an seinen Kriechtraum.
Vom Ohltrop-Mord stand natürlich nichts in diesem Werk, der würde auch in eine spätere Auflage nicht aufgenommen werden. Der Ohltrop-Mord war für die Wissenschaftler ganz uninteressant.
Sowtschick überlegte, ob er sich den Atlas kaufen sollte, vierhundertachtzig Mark – er hätte sich sogar von der Steuer absetzen lassen. Jungen Autoren hätte er damit zeigen können, um was man sich alles kümmern muß, wenn man einen Roman schreibt: Mord-Atlanten kaufen und Schlachtschiffe – das war noch das mindeste.
Während er noch überlegte, näherte sich ihm eine schwarzhaarige Buchhändlerin, randlose Brille, mit Goldbügeln, und fragte, ob sie sich irrt, und ob er vielleicht der Herr Sowtschick ist ?
«Jawohl», sagte Sowtschick, «ich bin’s», und klappte den Mord-Atlas zu.
Die junge Dame war hocherfreut, und sie sagte, daß ihre alte Tante eine große Verehrerin seiner Romane sei. Sie elende die ganze Familie mit Sowtschicks Büchern, das wär schon nicht mehr zum Aushalten. Fürchterlich! Irgendwie habe Sowtschick vermutlich den Ton der älteren Generation getroffen. Ob er nicht mal etwas Zeitgemäßes schreiben wolle? Es gebe doch weiß Gott Themen genug, die einem auf den Nägeln brennen? Vielleicht einen Arbeitslosenroman? Ob ihn das nicht reize?
Nun kam der Buchhändler aus seinem Hinterstübchen, von Naßrasuren
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