Hundstage
barocken Sekretär legte und das Brot verzehrte. Das Bier trank er nach Arbeiterart aus der Flasche, er rülpste dazu und benahm sich extra unmanierlich. Daß er hier kein Fernsehgerät hatte, bedauerte er jetzt, er hätte gern noch einmal alle Sender durchgecheckt, ob sich nicht doch noch was Sehenswertes fände. Als Sowtschick endlich wieder im Bett lag, den Blick auf das Gewebe des in dieser Ehe bereits mürbe gewordenen Bettüberzugs, fühlte er sich einigermaßen wohl. Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen: Scott war er jetzt, in eisiger Einsamkeit von Polarstürmen umstürmt. Den Vater sah er, mit dem goldenen Kneifer, in seiner Studierstube – debere = schulden, müssen – und die Mutter, an den Türrahmen gelehnt: carus, a, um = lieb, wert, teuer, und die kleine Schwester, in ihrem Bett liegend, wie nur Tote liegen können. Das Leben driftete ab wie ein Floß. Schon näherte sich der Schlaf, ganz ohne daß er es nötig gehabt hätte, sich gotische Kathedralen vorzustellen. Doch an Ruhe war nicht zu denken, eine Herde weißer Pferde kam angaloppiert, darauf indianerartig braungebrannte Mädchen – diesmal war es ein Geräusch von der Straße, das seine bereits abgemeldete Wachheit aktivierte. An Sowtschicks Haus fuhr ein Auto vorüber. Es fuhr zögernd vorüber, wendete und kehrte zögernd zurück: Das Scheinwerferlicht wischte über die Holzdecke, und zwar entgegengesetzt zur Fahrtrichtung. Und dann hielt das Auto an.
E in Auto hielt vor Sowtschicks «Domizil», und zwar mitten in der Nacht: Dies versetzte die Hunde ruckartig in enorme Aufregung. Sowtschick sprang aus dem Bett und sah hinaus. Mond, silberne Wolken, schwarze Bäume und Büsche und unten drunter, goldenen Lichtschein aussendend, ein Wohnmobil. Die Pforte wurde mit der Taschenlampe abgeleuchtet, die Klingel gedrückt.
Um den Menschen da unten zu zeigen, daß er sofort kommt, machte Sowtschick breit Licht. Er zog seinen weinroten Schlafrock an und schlüpfte in die weichen Lederpantoffeln. Dann ging er hinunter, Tür für Tür aufschließend, machte noch mehr Licht, überall, und trat, von den Hunden begleitet, aus dem Haus. An der Pforte stand ein Mann, der sagte in das feurige Gebell hinein: «Hello, do you have any petrol?»
Pettrell? dachte Sowtschick. Was für Pettrell?
Er erfuhr, daß dies ein englisches Gefährt sei, auf dem das «Pettrell» zur Neige gehe, und keine Tankstelle in Sicht.
Ach so! Benzin! Na, das war was für Sowtschick! Am liebsten hätte er in ostischer Gastfreundlichkeit das ganze Gespann auf sein Grundstück gelotst und die Leute mit Spiegeleiern, Tee, ja mit Bett versorgt und erst am nächsten, strahlend aufbrechenden Tag wieder entlassen; ein Stück der schlechten Meinung auslöschend, die Ausländer von Deutschen haben.
Spiegelei? Bett? Nein, der Mann wollte nicht. Er schwenkte einen leeren Kanister: «Petrol», das war es, was er brauchte.
Natürlich hatte Sowtschick Benzin, er besaß dreißig Reservekanister, seit 1973 standen sie in der Garage – wahrscheinlich innen schon angerostet –, und er freute sich, daß er den Mann nicht enttäuschen mußte.
Von Hunden umsprungen, geleitete Sowtschick ihn zur Garage. Hier war allerhand Gartengerät zu besichtigen, mit Nummern versehen, ordentlich aufgehängt, ein ausrangierter Motormäher und zwei nagelneue Fahrräder, in einer Gesundheitsphase der Eheleute gekauft, so gut wie nie benutzt. Nach der Übergabe des Kanisters mit dem wahrscheinlich schon verharzten Benzin schaffte Sowtschick es, den Fremden ins Haus zu ziehen, in die Halle, die wie zu einem Empfang erstrahlte. Er holte Bier aus der Küche und Steinhäger und schenkte sich davon ein, weil jener ablehnte, und, er konnte es nicht lassen, er gab es preis, daß er für seine Person Schriftsteller sei. Das mußte für diesen Mann doch eine Sensation sein?
«Do you have a publisher?» fragte der ohne Umschweife, was Sowtschick freudig bejahte. Allerdings habe er einen «publisher», er habe sogar zwei, ein Teil seiner Bücher werde nämlich in Berlin verlegt, der andere in München. Seine Frau sei übrigens verreist, die fahre immer alleine weg, weil er nämlich für seine Person das Reisen satt habe. Er für seine Person sitze lieber zu Haus und schreibe Bücher, und zwar mit der Hand.
Eines dieser Bücher sei übrigens auch in England erschienen, ob er es mal holen solle, ja?
«Ich hol es eben mal schnell», sagte er und lief hinüber ins Studio, wo all seine Erstausgaben
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