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Hundstage

Hundstage

Titel: Hundstage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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standen. «Harvest on Sea» hieß das Buch, und während der Fremde sich verstohlen umblickte, kehrte Sowtschick, darin blätternd, zurück.

    Der Engländer zeigte zunächst wenig Neigung, das Buch zur Kenntnis zu nehmen. Sowtschick mußte es ihm direkt in die Hand schieben. Dann aber sagte er: «Aha!» und: «Soso!» Schlug es auf und verglich das Foto auf der Umschlagklappe mit dem sich in Positur stellenden Sowtschick: Der Beweis war erbracht, daß es sich bei Sowtschick um einen Schriftsteller handelte.

    Der Engländer dachte, er solle das Stück geschenkt bekommen, er legte die Hand darauf: «I like books», sagte er, und dieses hier werde er jedenfalls lesen.

    Als sie da so saßen – Sowtschick überlegte, wie er Hessenberg dazu bringen könnte, ihm das kostbare Belegstück wieder zu beschaffen –, fingen die Hunde erneut an zu toben. Von der Straße her kam die Frau des Engländers, dick und strähnig. Sie hatte es nicht so eilig wie ihr Mann. Sie interessierte sich für Sowtschicks Wohnverhältnisse.

    Sowtschick zog den Gürtel seines Schlafrocks fest und langte sich die neben dem Kamin liegende Ausgabe der Zeitschrift «Form», in der sein Haus abgebildet war. Und während der Mann nach draußen ging, um das Benzin in seinen Tank zu füllen, führte er die dicke, nach Schweiß riechende Frau durch alle Zimmer und schlug wie zum Beweis, daß sie nicht träumt, auf die betreffenden Abbildungen in der Zeitschrift: das Herrenzimmer mit Bleisoldatenburg, die Porzellanfiguren im Damenzimmer, achttausend Bücher, ein in Gold gerahmter Schafbock, und hier: Eine Truhe aus dem siebzehnten Jahrhundert! Der große Schlüssel allein schon … Eindrucksvoll, nicht?

    «Lovely!» sagte die Frau, die es anscheinend mit dem Magen hatte, denn sie stieß auf, was nach verdorbenen Frikadellen roch. Die kleinen Glocken seien ja «lovely». Daß die hier überall so rumhängen? Wie zu Weihnachten, nicht? «Lovely» und «nice» sagte die Frau zu Sowtschick – alles Wörter, die der ohne weiteres verstand.

    Im Gegensatz zu ihrem Mann, der eher scheel guckte – den Krieg haben sie verloren, diese verdammten Deutschen, und nun haben sie so schöne Häuser –, war sie begeistert von allem. Sie wollte lediglich wissen, wer das alles saubermacht und ob das nicht ’ne Menge Öl kostet, all die vielen Zimmer, im Winter? Und – Diebe? Ob er gar keine Angst vor Dieben habe?

    Sowtschick war ganz außer sich vor Freude, daß er seinen Besitz vorführen konnte, alles zeigte und erklärte er der Frau. Er öffnete sogar die Abseiten, in denen Koffer standen und alte Kinderschlitten. Vermutlich hätte er ihr auch noch sein Schlafzimmer gezeigt, wenn nicht der Mann inzwischen zurückgekommen wäre und hüstelnd zum Aufbruch gedrängt hätte. Nun denn, schade, irgendwie.

    Was er schuldig sei, wollte der Engländer wissen, und er zog sein Portemonnaie.

    Sowtschick wollte kein Geld. Eine einzige Münze, einen Penny erbat er, und zwar einen abgegriffenen.

    Einen Penny? fragte der Engländer. Das ließ sich machen.

    Und das Buch, sagte Sowtschick dann noch, das wär ein Irrtum, das möchte er gern wiederhaben.

    Ja, wundervoll, sagte der Engländer, das nimmt er gerne mit, und das wird er jedenfalls lesen.

    «I like books.»

    Die Frau wollte «noch mal eben schnell» das Klo aufsuchen, sie konnte zwischen dreien wählen. Anhand der Glöckchen, deren Läuten sich rasch entfernte, konnte Sowtschick hören, daß sie sein Spezialklo wählte.

    Die beiden Männer schlenderten unterdessen, ihre Vokabeln sortierend wie auf einem Xylophon, zum Auto, einem Ford.

    Hamburg? Nach Hamburg wollte er also, sagte Sowtschick, Hagenbecks Tierpark! Michaeliskirche! St. Pauli! Im Krieg hätten die Engländer ja alles kaputtgeschmissen, all die Arbeiterviertel – die Villen der Kaufleute hübsch heil gelassen – , er für seine Person nähme es ihnen nicht übel, daß sie Frauen und Kinder mit Phosphor bedacht hätten. Nicht, daß er damals von den Bombenangriffen entzückt gewesen sei, Feuerstürme, vertrocknete Leichen in den Kellern, aber – selber schuld seien die Deutschen, selber schuld. Coventry, die Sache mit dem Ausradieren. Coventry, Rotterdam und dann natürlich die Nazis mit ihren Morden: Auschwitz und Maidanek.

    Der Engländer hörte sich das alles an. Ob Sowtschick Soldat gewesen sei, wollte er wissen.

    Jawoll, im Osten. «Prisonership, you know?» 1943 sei er in Prisonership gekommen, beim Russen. Nix gutt, o nein, «very

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