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Hundstage

Hundstage

Titel: Hundstage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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vorneweg, den Schwanz mit der weißen Spitze in die Höhe gekrümmt, der paßte auf, daß ihn nur ja keiner überholt, die kleine schwarze Doris mit den bernsteinfarbenen Knopfaugen hielt sich dagegen in Sowtschicks Nähe. Ob’s so recht ist? schien sie zu fragen. Ob das nicht brav ist, so dicht neben dem Herrchen herzulaufen? Percy war ein Schlot trotz seines vornehmen Aussehens, der verschwand schon mal im Dickicht, so daß Sowtschick denken mußte: Nun ist er weg. Der Jäger – er hieß Budweis – war ein Mensch von radikaler politischer Gesinnung, Friedensdemonstranten bezeichnete er als «Halbaffen», die man nicht mit Wasser –, sondern mit Flammenwerfern bekämpfen sollte. Trotzdem tat er bei den Grünen mit, wenn auch auf lokaler Basis: Der Abbau des Moores war es, der ihn zu diesen Leuten trieb. Eine Firma, namens Senneschalk GmbH & Co KG, verarbeitete das Sassenholzer Moor, in dem es noch vor wenigen Jahren Sonnentau gegeben hatte, zu Blumentopferde und beschnitt ihm die Jagdgründe.

    Vielleicht, dachte Sowtschick, habe ich Glück und begegne den Pferdemädchen. Er stellte sich innerlich darauf ein, überlegte, wie er sich verhalten sollte, wenn sie hier angaloppiert kämen, damit er nicht so verdattert dastünde.

    Die Pferdemädchen traf er nicht. Als er auf die große Schneise stieß, die nach Hamersiek führte, wo es den armen Zahnarzt Ohltrop erwischt hatte, sah und hörte er eine Schulklasse auf Fahrrädern sich nähern. (Denen hätte Budweis den Marsch geblasen!) Laut miteinander schwatzend kamen sie heran, einer hinter dem andern, Halbwüchsige beiderlei Geschlechts, mit Rucksäcken, Zelten und sogar einem grünweißen Wimpel. Vorn und hinten fuhr je eine Lehrerin.

    Durch Feld und Buchenhallen
bald singend, bald fröhlich still …

    Sowtschick trat zur Seite, musterte die jungen Menschen, die grußlos an ihm vorüberradelten. Einige hatten einen Walkman um die Ohren, das waren wohl die stilleren Naturen.

    Zelten? dachte Sowtschick, wie gut, daß ich meine Tage nicht mit solchem Sport vergeuden muß. Eine vage Erinnerung an ein Waldlager stieg in ihm auf, 1938, mit Lagerfeuer und Grützsuppe und Ingolf, einem blonden Jungen. Das Bild dieses Jungen, mit dem er sich im Stroh gewälzt hatte, war noch sehr lebendig, es wurde zusammen mit den beiden Pferdemädchen aufbewahrt an derselben Stelle, wo jüngst die schmuddelige Cordhose gelandet war. Hier konnte von Auswaschungen des Gehirns keine Rede sein.

    Oberschüler? Eigentlich hätten sie mich ja erkennen müssen, dachte Sowtschick. Aber das war wohl zuviel verlangt. Den Schlagersänger Shilly Billy hätten sie vielleicht erkannt oder den Fernseharzt Dr. Klaasen, aber doch keinen Schriftsteller!

    Die Hunde waren ein Stück hinter der Jugend hergestürmt – nun kamen sie zu Sowtschick zurück. Er ging mit ihnen am Hünengrab vorüber, in das ortsfremde Touristen gern mit der Taschenlampe hineinleuchteten, «Steinhaus» genannt, zehntausend Jahre alt, auf jedem Meßtischblatt verzeichnet. Wahrscheinlich hatten es dieselben Leute gebaut, von denen auch das Steinbeil stammte, das man beim Ausschachten von Sowtschicks Hausgrube gefunden hatte.

    Sowtschick setzte seinen Spaziergang fort. Er kam an die Kieskuhle, in der klares, grünes Wasser stand. Die weißen Hänge, zwei Tannen auf der Kante, der grüne Grundwassersee: Für Dorfjugend ein idealer Tummelplatz.

    Sonst pendelten hier superschwere Lastwagen hin und her, tagaus, tagein, feinen Sand zu holen zum Bau von immer mehr Häusern in immer größer werdenden Städten. Das Wild entwich vor dem Lärm bis sonstwohin, ohne daß es den Jäger aufgeregt hätte. Jetzt war es ganz still.

    Sowtschick stellte sich an den Rand der Grube und dachte: Man müßte Geologe sein. Eiszeitliches Geschiebe war das hier offensichtlich, dem waren auch die großen Brocken des Hünengrabes zuzurechnen. Zehntausend Jahre? Eigentlich noch gar nicht so lange her.

    Die Hunde setzten sich neben Sowtschick, und Sowtschick dachte: Die Zeit steht still. Lustig hätte es sein können, wenn auf der anderen Seite die Schüler erschienen wären, die Räder hingeschmissen hätten und wie die weißen Pferde in Sowtschicks Traum den Abhang hinuntergestürmt wären. Oder wenn die Pferdemädchen in die weiße Grube geprescht kämen und drüben mit Karacho wieder hinauf?

    Er klaubte Steine auf und versuchte, sie ins Wasser zu werfen, aber er warf viel zu kurz!

    «Jämmerlich», sagte er, «jämmerlich.» Andererseits: Wozu

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