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Hundstage

Hundstage

Titel: Hundstage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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immer nur: «Marianne unleidig» ins Tagebuch schrieb? «Die Ehe des Dichters war überaus glücklich.» Auf einen solchen Satz in seiner Biographie wollte Sowtschick nicht verzichten, und er nahm sich vor, ab sofort zunehmend Freundliches, Liebevolles über die Frau zu notieren, die nun schon seit dreißig Jahren mit ihm durch das teilweise gar nicht so leichte Leben schritt. Freundlich war seine Frau zu ihm, freundlich, aber bestimmt. Unbeugsam in Dingen der Moral, in denen Sowtschick eher laxer war. Leute, die das Ehepaar kannten, waren stets der Meinung, daß der etwas ungenaue Sowtschick eine solche Frau gar nicht verdiene, und wenn Sowtschick an sie dachte, kam er sich schlecht vor. Nicht so sehr die Sache mit Carola Schade fiel ihm ein, die war abgetan, obwohl sie sich noch hinschleppte. Nein, wenn er an seine Frau dachte, dann war es ihm, als hätte er sich nicht gewaschen. Vor ihr wurde ihm ganz klebrig.

    Er stellte sie sich vor in ihrem grauen Kostüm, nordischklar, je eine Perle in den Ohrläppchen … Wo mochte sie jetzt sein? In Bieseritz vermutlich, bei Klößchen. Und dort in einem Bett ganz ohne Zweifel, seitlich liegend, den Zopf auf dem Kissen deponiert.

    «An Marianne gedacht», schrieb er ins Tagebuch. «Schön, daß es sie gibt», und er beschloß, sich ein Foto von ihr vergrößern zu lassen, ein Jungmädchenfoto, in Pommern aufgenommen, auf dem Gut ihrer Großeltern. Dies Foto würde er auf die Schrankklappe seines Sekretärs stellen. Marianne würde es eines Tages sehen, und das würde sie freuen.

    Als er eben das Tagebuch schließen wollte, fiel ihm der Scherenschleifer ein, mit seinem Lustobjekt: die schmuddelige weiße Hose. Dies schrieb er noch ins Tagebuch: «Ein Scherenschleifer war da», falls man ihn am nächsten Morgen in seinem Blute schwimmend fände, dann würde diese Eintragung die Fahndung nach den Mördern erleichtern.

    Sowtschick ging ins Badezimmer hinüber. Sorgfältig verschloß er die Tür, obwohl er doch allein zu Hause war. Er putzte sich die Zähne, dann wusch er sich die Füße. Er hatte mal gelesen, daß das Füßewaschen gut gegen Schlaflosigkeit sei, und seitdem verzichtete er auf Schlafmittel, die, wie er meinte, die Poren seiner Nieren verstopften, und wusch sich statt dessen die Füße, und meistens funktionierte das auch.

    Sowtschick saß auf einem Schemel und wusch sie sich gründlich: Es waren dieselben Füße, die ihn nun schon sechzig Jahre trugen, auch der kleine Zeh war noch derselbe. «Ich habe sprechende Füße», sagte er laut. Fast sakral kam ihm das Fußwaschen vor, wie eine Art Taufe: Ein besserer Mensch würde er werden, das stand fest.

    Bevor er ins Bett ging, trat er noch einmal ans offene Fenster. In der Ferne hörte er Mofas summen, das Geräusch entfernte sich. Die Pappel rauschte vertrauenerweckend, und der Mond schien unentwegt. Sowtschick betrachtete ihn durch das Hapag-Glas. «Stiller Freund der vielen Fernen …» Es war fast Vollmond, am linken Rand des Trabanten waren deutlich Krater zu erkennen. Ungeheuerlich! dachte Sowtschick, ungeheuerlich …, obwohl er in Wahrheit nichts empfand. Er war es sich schuldig, meinte er, den gestirnten Himmel über sich «ungeheuerlich» zu finden.

    Die Nachtkühle fuhr ihm unter die Pyjamajacke – er schloß das Fenster, legte sich ins Bett und ließ die Bilder aus dem Dunkel aufsteigen, den Vater mit dem goldenen Zwikker, aufmunternd nickend, die Mutter an den Türrahmen gelehnt. Und dann die kleine Schwester – im Bett, tot, einen Kranz von Gänseblümchen um den Kopf. Sie hatte Scharlach gehabt, elf Jahre alt, und war daran gestorben.

    Schade eigentlich, dachte Sowtschick, vielleicht lebte sie jetzt in Michigan, verheiratet mit einem Menschen von IBM, man könnte sie besuchen, in einem Kanu sitzen und Fische fangen.

    Sowtschick zog die Bettdecke hoch, er klemmte sich die Bettrolle unter den Kopf und griff sich das «Unternehmen Cerberus». Noch lagen die Schlachtschiffe in Brest, unter Tarnnetzen verborgen, die Geschütze in Ruhestellung, den unangenehmsten Luftangriffen ausgesetzt. Doch schon nahm der Plan Gestalt an, sie durch den Ärmelkanal zu führen, und zwar am hellichten Tag. Sowtschick las von Täuschungsmanövern der deutschen Abwehr, Tropenhelme zu kaufen, damit die Agenten der Résistance nach London meldeten: «Die Boches wollen natürlich in den Süden dampfen. »

    Die Sache erwärmte ihn, irgendwie freute er sich über das Indianerspiel, dessen glücklichen Ausgang er ja

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