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Hundstage

Hundstage

Titel: Hundstage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Dach, das all das viele barg, das der Welt zugute kam oder kommen würde, die Bäume schlossen das inmitten von Getreidefeldern liegende Anwesen nestartig ein, vertrauenerweckend und Sehnsucht nach Heimat. So wie es jetzt da lag – «eene Milljon hätt hei all full» –, würde es sich allerdings auch Dieben oder Mördern darbieten.

    Als Sowtschick auf sein Haus zuschritt, dachte er für einen Augenblick daran, daß die Scherenschleiferin zurückgekommen wäre, säße in der Halle und guckte ihn an: vorwurfsvoll! Auf einem Schemel säße sie, rothaarig und mit aus dem Gesicht hervorschnabelnder Nase, wippte ein wenig und blickte ihn an. Irgend etwas würde ihn daran hindern, sie zu beachten, und wenn er nach oben ginge, würde sie dort sitzen bleiben und fortfahren hin-und herzuwippen.

    Es zeigte sich, daß Sowtschick die Alleetür offengelassen hatte: «Der Dichter hat es den Strolchen überaus leicht gemacht, in sein Haus einzudringen …», würde in der Zeitung stehen. «… von sechzehn Messerstichen zerfleischt, wurde er im Bett aufgefunden, schwimmend in seinem Blut.» Und: «Der Dichter hat überaus leichtsinnig gehandelt.» Das Wort «überaus» würde in der Reportage zu lesen sein, ganz gewiß.

    Die Hunde trotteten in ihre jeweilige Schlafecke, genannt «Heia». Hier ringelten sie sich ein, legten die Zunge zurecht in ihrem Maul und betteten den Kopf auf eine Pfote, links oder rechts.

    Sowtschick verabschiedete sich von den Tieren, die, sobald er die Tür geschlossen hatte, ihre Heia-Ecken verließen und sich auf die Kaminsessel fläzten, und mixte sich in der Küche seinen Abendtrunk, Selterswasser mit Aprikosensaft und einem Schuß Gin, dann ging er nach oben in sein Schlafreich. Mit jeder Stufe, die er hinaufstieg, wurde das geheimnisvollwispernde Leben im Keller dreister. Das waren die «Nacht-Silvesters», die da lebten, die legten jetzt so richtig los.

    H inter Sowtschicks Schlafzimmer befand sich eine Art Gelaß, es war vom Architekten als Wäschekammer vorgesehen. Sowtschick hatte es sich als «Fluchtburg» eingerichtet. In diese schräge, schlecht belüftete Kammer verzog er sich, wenn er der Familie oder gar der Welt grollte. Ein barocker Sekretär mit wunderschönen, allerdings beschädigten Intarsien stand hier, in dessen Schubladen er seine Tagebücher aufbewahrte, Briefe seiner Eltern, Andenken und Fotos.

    Hier hatte er auch seine Münzsammlung untergebracht, silberne und kupferne Stücke, durchweg abgegriffene Exemplare, mit «Aura», wie der Münzhändler es ausdrückte. Unendlich oft gezählt – ob’s reicht? –, von einer Hand in die andere gegeben, im Beutel, im Kasten aufbewahrt und womöglich in Kriegszeiten vergraben und Jahrhunderte später durch Zufall wieder aufgestöbert. Abgegriffene Münzen konservierten Kummer und Sorgen von Menschen, die Schlimmeres erlebt haben mochten als Alexander Sowtschick, und außerdem waren sie billiger als prägefrische Exemplare.

    Ich betrachte jetzt meine Münzen, dachte Sowtschick, wenn er durch die Lupe guckte, und den Reportern erzählte er, daß ihn das beruhige.

    In einem besonderen Kästchen lagen besondere Münzen: französische aus der Revolutionsära, russische von 1919. Ob an ihnen Blut klebte? Wer konnte es wissen. Hier lag auch der Pfennig, den er auf dem Rathausmarkt gefunden hatte, in Hamburg, 1970, als ihn Jung-Autoren an der Krawatte zerrten, weil er sich mit Bürgerlichem befaßte, anstatt strahlend in die Zukunft zu marschieren.

    Obgleich Sowtschick den Verleger wiederholt vor seine Sammlung geführt und ihn auf seine Vorliebe für Numismatik aufmerksam gemacht hatte, schickte der vergnügliche Herr Hessenberg weiterhin Wein zum Geburtstag und zu Weihnachten.

    Dieser Mann hat kein Gespür …, dachte Sowtschick, und er malte sich aus, was für herrliche Bücher er schreiben würde, wenn Hessenberg nur ein wenig erfindungsreicher wäre mit seinen Aufmerksamkeiten: also Münzen schenkte, und zwar mit «Aura» statt Wein (den andere tranken).

    Sowtschick griff nach seinem Tagebuch und schrieb: «Marianne ab, Fingerling weitergeführt. Dr. Ohltrop ermordet – geht das nun bei uns los? Was sind das bloß für Zeiten.»

    «Marianne ab …» Er nahm das Tagebuch noch einmal zur Hand und blätterte darin. «Winterreise begonnen!» stand da groß und breit. Und: «Klößchen hat geschrieben.» Von Marianne war in dem Tagebuch herzlich wenig verzeichnet, das sah er jetzt. Was sollte denn die Nachwelt von ihm denken, wenn er

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