Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hundstage

Hundstage

Titel: Hundstage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
Vom Netzwerk:
kannte. Zweihundert Seiten hatte er noch vor sich, mit denen galt es hauszuhalten, die mußten den Sommer über reichen. Wer konnte denn wissen, ob man so bald ein ähnlich interessantes Buch finden würde.

    Sowtschick las ein paar Seiten – die konfusen Gegenmaßnahmen der Briten waren besonders erheiternd –, dann klappte er das Buch zu und knipste das Licht aus. Die herrlichen deutschen Schiffe, so vertraut: anders als die vermurksten altmodischen Kästen der Briten und solider als die übereleganten Franzosen …

    Sowtschick lauschte in sich hinein. Die Sinne zogen ihre Antennen ein, die Leuchtzeichen der Organe wurden schwächer, die Moleküle des Fleisches schwerfälliger. Er schlug letzte noch aufbegehrende wollüstige Gedanken an eine schmuddelige Cordhose mit der Vorstellung von gotischen Kathedralen nieder, sah Strebeverzierungen, die in Rosetten vorstoßen, und glitt sanft hinüber.

    Die Erfahrung hatte Sowtschick schon gemacht, daß er schlecht schlief, wenn er zu lange in den Mond geschaut hatte. Magisches und Magnetisches aktivierten in ihm Kräfte, die sich sonst nicht regten. Wenn der Mond es vermochte, in den Weltmeeren Milliarden Tonnen Wasser zu stauen und wieder loszulassen, so machte er es nun, daß Sowtschick trotz der prophylaktischen Fußwaschung schon nach einer Viertelstunde wieder aufstieg aus den Tiefen des Schlafes. Er schlug die Augen auf und sagte laut: «Was ist denn?»

    Unten im Haus hörte er flatternde, gurrende Geräusche. Sowtschick dachte keineswegs an die Silvesters. Vor ihm baute sich das Bild von maskierten Fledermaus-Männern auf, die nach Lichtschaltern tasten und dabei an einen Stuhl stoßen. Es nützte nichts, daß er sich sagte: Aber die Hunde würden doch anschlagen … und außerdem würde ich die Glöckchen hören … Seine Ängste zogen sich in ihm zusammen, und er lauschte den Geräuschen, die sich noch verstärkten.

    Eigentlich hätte Sowtschick nach seiner Hose greifen und sich für einen Überfall präparieren müssen. Er tat das nicht, denn er meinte, erst wenn er das täte, würden sich die jetzt noch harmlosen Geräusche in gefährliche verwandeln. So lag er wach in seinem Bett und wurde immer wacher! Als unten schon längst wieder alles still war, lag er noch immer da und lauschte. Schließlich machte er Licht, nahm das «Unternehmen Cerberus» vor die Augen und versuchte den Einschlafritus zu wiederholen, aber das klappte nicht. Wohl folgten seine Augen den Zeilen des Textes, doch sie nahmen nichts auf.

    Leider kam hinzu, daß er Hunger verspürte, und der Hunger wurde mächtiger in ihm, und schließlich sah er es nicht ein. Er wagte es, er stand auf und ging hinunter in das finstere Haus, wobei er nach Art der Furchtsamen hustete und pfiff und auch sonst noch allerhand Geräusche machte.

    Er rief die Hunde, die von den Sesseln sprangen, und ging mit ihnen einmal durch alle Zimmer, wobei er die jeweiligen Glöckchen läutete, die überall hingen, nichts war zu entdekken. In der Küche hielt er ihnen Salamischeiben vor die Nase. Angesichts der Wurst kriegten sie etwas Fanatisches in ihren Blick. Je unbedingter sie gucken würden, desto rascher würden sie die Leckerbissen erhalten, das war ihnen klar.

    Sowtschick gab jedem eine Sonderration und sprach mit ihnen lauter als nötig, wie gut er zu ihnen ist, und wenn das Frauchen wiederkommt – vielleicht komme sie ja ganz überraschend, stünde plötzlich vor der Tür, womöglich in Begleitung von drei kräftigen Männern –, dann würden sie es nicht so gut haben.

    Die Hunde hörten zu, weil sie mußten. Vielleicht kapierten sie ja auch, daß diese Worte den maskierten Männern zugedacht waren, die hinter der Küchentür standen und darauf hofften, daß sie ihr Herrchen mit einem Obstmesser massakrieren könnten, vielleicht verstanden sie ja, daß Alexander deshalb so laut sprach, damit sie zueinander sagen sollten: Hauen wir lieber ab, bevor es zu spät ist! Auch die kleinen Silvesters im Keller hielten inne in ihrem aufgeregten Kekkern. Die waren bereit, wenn es Sowtschick einfallen sollte, zu ihnen hinunterzusteigen, notfalls in Sekundenschnelle sich in den schwarzen Fleck zu reduzieren, rechts, unter dem Weinflaschenregal.

    Sowtschick strich sich eine Scheibe mit seinem «theuren» Griebenschmalz, schloß alle Zimmertüren ab, die irgend abzuschließen gingen, nahm eine Tüte Kartoffelchips unter den Arm und eine Flasche Bier und fand sich in seiner Fluchtburg wieder, wo er die Füße auf den

Weitere Kostenlose Bücher