Hundszeiten: Laura Gottbergs fünfter Fall
überall zugleich: in seiner Seite, im Bauch, am Kopf. Alles drehte sich. Es krachte irrsinnig laut, schepperte, war wieder still.
«Das reicht!», sagte eine Stimme.
Dann hörte Ralf nichts mehr.
«Es war nicht leicht, dich beim Verspeisen von bayerischem Wurstsalat zu beobachten, während ich meine Grießnockerlsuppe löffeln musste!» Laura ließ ihren alten Mercedes zum fünften Mal um ihr Wohnviertel kreisen. Obwohl sie eine Parklizenz besaß, gab es wieder einmal keine Lücke in der endlosen Reihe abgestellter Autos.
«Der Wurstsalat war wirklich gut – allerdings auf eine etwas direkte Weise. Ich meine, er hat nichts Raffiniertes.» Guerrini hauchte in seine hohle Hand. «Bisschen viel Zwiebeln.»
Laura lachte.
«Ich habe noch nie eine so höfliche Beschreibung von Wurstsalat gehört! Er ist völlig primitiv, aber ich liebe ihn trotzdem. Manchmal habe ich richtigen Heißhunger drauf, vor allem, wenn ich längere Zeit nur Edelküche genossen habe.»
«Mir geht es so mit toskanischen Knoblauchwürsten. Manchmal muss ich die einfach essen, vor allem, wenn ich Sorgen habe.»
«Kindheitströster?»
«Ja, natürlich. Was ist es bei dir?»
«Fleischsalat in Mayonnaise.»
«Schmeckt das?»
«Eigentlich nicht.»
Sie mussten beide lachen.
«So, ich stelle den Wagen jetzt auf den Bürgersteig! Es reicht!»
Lauras Handy begann zu brummen, als sie den Wagen absperren wollte. Guerrini lehnte sich an den Kühler und verschränkte die Arme.
Bitte keinen Einsatz, dachte Laura. Aber wer sollte sonst schon kurz nach zwölf anrufen. Ich hätte es ausschalten sollen. Aber sie hatte aufgrund der extremen Lage permanenten Bereitschaftsdienst. Bitte keinen Einsatz, flehte sie noch einmal, ehe sie auf den Knopf drückte.
«Ja.»
«Frau Gottberg?»
«Ja.»
«Tut mir leid, wenn ich Sie aus dem Bett hole, aber da gab es schon wieder einen Überfall auf einen Penner. Wäre gut, wenn Sie gleich hinfahren.» Es war der Kollege von der Einsatzzentrale, mit dem sie schon am frühen Abend gesprochen hatte.
«Wo?»
«Am Friedensengel. Sie kennen doch sicher die Fußgängerunter …» Laura ließ das Telefon aufs Autodach fallen und zog ihre Hand zurück, als hätte sie sich verbrannt. Den Kopf in den Nacken gelegt, hatte Guerrini den Mond betrachtet, der ungewöhnlich groß war und rötlich leuchtete. Trotzdem nahm er ihre seltsame Bewegung wahr und sah sie an. Mit geschlossenen Augen stand sie vor ihm, die Lippen zusammengepresst, beide Fäuste geballt. Guerrini umfasste ihre Oberarme mit seinen Händen.
«Was ist geschehen, Laura?»
Sie stand wie erstarrt, antwortete nicht.
«Che cosa succede? Ist etwas mit deinen Kindern, deinem Vater?» Er schüttelte sie leicht.
«Warte», flüsterte sie. «Ich kann noch nicht. Wenn ich mich bewege, schrei ich vor Wut.»
«Und warum schreist du nicht?»
«Weil sonst alle aufwachen.» Laura öffnete die Augen. «Ich muss mich bewegen, Angelo. Schnell bewegen. Bitte mach die Fahrertür auf und sag: Laura, steig ein!»
Er hob ratlos die Hände, tat aber, was sie gesagt hatte. Laura nahm ihr Handy vom Autodach, das in diesem Augenblick erneut brummte. Sie ließ es beinahe fallen, warf es auf den Rücksitz.
«Ich möchte, dass du mitkommst. Es ist mir ganz egal, was die Kollegen sagen. Ich brauch dich. Allein steh ich das nicht durch. Nicht nach dieser Woche!»
Guerrini sprang auf den Beifahrersitz, und Laura fuhr mit kreischenden Reifen los.
«Würdest du bitte das Blaulicht aufs Dach stecken, es ist unter deinem Sitz.»
«Es ist nicht da.»
«Dann ist es unter meinem Sitz.»
Sie bremste kurz vor einer roten Ampel, griff nach dem Blaulicht und gab es Guerrini, dann fuhr sie langsam über die Kreuzung und gab wieder Gas.
«Könntest du mir jetzt sagen, was passiert ist?»
«Sie haben Ralf überfallen, genau den Obdachlosen, dem ich mein blaues Auge verdanke.»
«Ist er …»
«Ich habe nicht gefragt.»
Laura wählte die Straße auf dem linken Isarufer. Dort kamen sie schneller voran als auf den verwinkelten Wegen durch Haidhausen.
«Hast du Angst, dass er tot ist?»
«Er ist der Dritte, Angelo! Die beiden andern hatten keine Chance: Einen haben sie erschlagen und in den Fluss geworfen, dem zweiten die Kehle durchgeschnitten. Was hat dieses miese Schwein Geuther gesagt? ‹Penner schließen sich selbst von der Gesellschaft aus, deshalb leben sie gefährlich.› So ähnlich jedenfalls. Aber ich krieg sie, diese Verbrecher! Ich schwör dir, dass ich sie
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