Hundszeiten: Laura Gottbergs fünfter Fall
Es machte ihm Angst. Deshalb schaute er auf den Boden.
Langsam beruhigte sich sein Herz, und Ralf wandte sich nach links, nahm eine Abkürzung zum Brunnen, quer über eine kleine Wiese und durch einen Hain von Kornelkirschen. Der Mond schien genau auf die kleine Brunnenfigur, einen drallen Buben. Wieder lauschte Ralf. Er hörte kein Plätschern vom Brunnen, dafür knirschten Schritte auf dem Weg. Bewegungslos blieb Ralf im Schatten der Sträucher stehen. Zwei Männer und zwei Hunde kamen auf ihn zu. Große Hunde. Die Männer bemerkten ihn nicht. Die Hunde hoben die Schnauzen, sogen hörbar die Luft ein und starrten in seine Richtung. Einer der beiden, ein Riesenschnauzer, bellte kurz. Die Männer pfiffen nach ihm, gleichzeitig. Da trabte der Hund weiter, lief zum Brunnen, sprang hinein und gleich wieder heraus. Kein Wasser.
Ralf hörte sein eigenes Stöhnen. Kurz dachte er daran, bei einer der großen Villen zu klingeln. Bei einer, die einen gelben Fleck hatte. Aber er traute sich nicht. Das Klo am Max-Weber-Platz war sicher schon zu. Die Nacht fühlte sich spät an.
Noch immer stand Ralf unter den Kornelkirschen und hatte nicht die geringste Idee, was er jetzt machen könnte. Eine halbe Stunde vom Friedensengel, am Auer Mühlbach, da gab es eine umbaute Quelle, die in den letzten Wochen noch lief. Aber das schaffte er nicht.
Plötzlich war Ralf sicher, dass er krank wurde. Vielleicht hing es mit dem Nasenbluten zusammen, mit Lauras Schlag. Erst war das Blut aus ihm herausgelaufen, dann das Wasser. Vielleicht war seine ganze Kraft mit herausgelaufen, und jetzt hatte er keine mehr. Laura! Das war noch eine Möglichkeit. Aber bis zu ihrem Haus schaffte er es schon gar nicht. Das war noch weiter weg als die Quelle. Blieb nur noch Isarwasser. Und Dünnpfiff oder Schlimmeres. Trinken musste er!
Langsam machte Ralf sich auf den Weg zum Fluss, diesmal stolpernd und strauchelnd den Hang hinunter. Er hätte auch den Fußweg an der Straße nehmen können, das wäre leichter gewesen. Aber da konnte man ihn sehen. Ralf hatte den deutlichen Wunsch, nicht gesehen zu werden.
Das letzte Stück des steilen Hangs rutschte er auf dem Hintern und traf nur wenige Meter neben dem Eingang zu seinem Tunnel auf den Radweg. Er wollte sich nach rechts wenden, weil es dort einfacher war, zum Fluss hinabzuklettern, konnte das Wasser schon riechen. Brackiger, fauliger Geruch stieg zu ihm herauf, getragen von kaum spürbarem Wind. In diesem Augenblick sah er die großen Wasserkanister vor sich, drei waren es. Alle durchsichtig und randvoll mit klarem Leitungswasser. Alle drei gehörten ihm.
Sie waren ganz nah, nur wenige Meter von ihm entfernt in seinem Anhänger. Zögernd wandte Ralf sich um, schaute zum Tunneleingang hinüber und tastete nach dem Schlüssel, den er noch immer an einer Schnur um den Hals trug. Dann gab er sich einen Ruck und bewegte sich auf die Unterführung zu. Er schlich, horchte, sein Herz begann wieder zu rasen, und seine Haut brannte. Der Tunnel verlief in einem weiten Bogen, deshalb konnte er seinen Anhänger erst sehen, als er ein ganzes Stück vorgedrungen war. Fremd kam er ihm vor, wie er da schief an der Wand hing und aussah wie irgendein Anhänger mit platten Reifen. Nicht wie seiner.
Egal. Er wollte nur was trinken. Dann würde er wieder gehen. Rüber zur Lukaskirche. Da war es sicher. Schritt für Schritt näherte er sich dem Anhänger, nicht ohne sich ständig nach allen Seiten umzusehen. Ganz still war es und nicht so hell wie sonst. Ein paar der Lampen brannten nicht mehr. Eine flackerte nur noch ganz schwach. Es dauerte, bis er endlich das Schloss aufbekam. Seine Hände zitterten wie verrückt, und er schrak zusammen, weil die Kette klirrend zu Boden fiel. Wieder schaute er sich um, horchte. Nichts. Und doch fühlte er sich nicht sicher, nicht wie früher. Alles war anders.
Als er die Seitenwand des Anhängers hochklappte, sah er die Wasserkanister, sonst nichts. Er ließ den Rucksack zu Boden fallen, zog einen Kanister zu sich heran, schraubte ihn auf, hockte sich hin. Von oben ließ er das Wasser über sein Gesicht laufen, fing es mit dem Mund auf, schluckte so gierig, dass er meinte, nochmal zu ertrinken.
Vielleicht war das der Grund dafür, dass er nicht begriff, was geschah. Der Schlag traf ihn quer über den Rücken und warf ihn nach vorn. Der zweite am Kopf. Ralf stieß einen Schrei aus, umklammerte den Wasserkanister. Tritte warfen ihn um. Er krümmte sich zusammen, aber die Tritte waren
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