Hundszeiten: Laura Gottbergs fünfter Fall
und auch keine Ahnung, woher er eins kriegen könnte. Außerdem kannte er sich mit Pferden nicht aus. War ja nur so eine Idee gewesen. Eine seiner vielen Geschäftsideen. So schlecht war sie gar nicht. Wenn er den ganzen Anhänger voller Steine hätte – alle bemalt und richtig schön –, dann könnte er die überall verkaufen und hätte immer was zu essen für sich und sein Pferd. Einen Hund könnte er dann auch noch mitnehmen. Er mochte Hunde. Hatte mal einen gehabt. Einen großen mit langem Fell, wie eine Wärmedecke. Der war überfahren worden. Danach wollte er keinen mehr, weil er es nicht ausgehalten hatte, als der Hund tot auf der Straße lag. Gelaufen war er danach, tagelang. Irgendwohin, immer weiter. Und getrunken hatte er, bis zur Besinnungslosigkeit. Damals hatte er noch getrunken.
War wohl keine gute Idee, das mit dem Pferd und dem Hund. Die konnten sterben, oder man würde sie ihm wegnehmen. Ralf schlüpfte mit seinem Kopf durch die Schnur, an der sein Anhängerschlüssel hing, und ging langsam Richtung Lukaskirche. Auf den Kiesbänken am Fluss fingen sie schon wieder an zu grillen. Es roch nach Holzkohlefeuer, gebratenen Würsten, Knoblauch. Und nach fauligem Flusswasser. Die Isar begann zu stinken.
Auf der Mariannenbrücke lehnte er sich eine Weile ans Geländer, schaute zu, wie sie Bierträger ans Flussufer schleppten und zur Kühlung ins Wasser stellten. Dabei war die Isar inzwischen auch schon lauwarm. Der Himmel schimmerte beinahe lila an diesem Abend, und aus der Lukaskirche klang Orgelmusik herüber. Ralf lauschte und folgte nach einer Weile den Klängen, wartete ungeduldig an der Fußgängerampel, überquerte endlich die Straße und setzte sich auf die Stufen vor der großen Kirche. Von hier aus konnte er das Konzert gut hören. Er wusste nicht, wer diese Musik komponiert hatte, solche Dinge waren ihm sowieso egal. Für ihn war nur wichtig, dass die Musik stimmte. Und sie stimmte. Eine Stunde lang hockte er vor dem hohen Portal und lauschte. Irgendwann überkam ihn ein Gefühl, als trügen ihn die brausenden Klänge davon – über die Straße, über den Fluss und über die Bäume am Hochufer hinweg, mitten in diesen lilafarbenen Himmel hinein. Dann wieder kamen ihm die Töne wie Wasserwirbel vor, die kreisten und kreisten, bis sie ihn nach unten zogen, auf den Grund des Flusses.
Als die Musik aufhörte, fühlte er sich traurig und glücklich zugleich. Er rappelte sich auf, ehe die Zuhörer aus der Kirche strömten, und machte sich auf den Weg zu einer der vietnamesischen Straßenküchen in der Innenstadt. Er hatte sich entschlossen, sein Abendessen am Odeonsplatz einzunehmen, ganz nah bei den gewaltigen steinernen Löwen vor der Feldherrnhalle.
Um halb acht rief Lauras Tochter Sofia an und erzählte begeistert von ihrer ersten Woche in England. Viermal fiel der Name Patrick.
«Wer ist Patrick?», fragte Laura.
«Der älteste Sohn meiner Gasteltern. Sie haben drei Kinder: Elsa, Bella und Patrick. Eigentlich sind sie Iren und keine Engländer. Sie sind auch katholisch, aber nicht sehr, und …»
«Wie alt ist Patrick?»
«Sechzehn. Wieso?»
«Nur so. Ich freu mich, dass es dir so gut gefällt.»
«Die haben super Discos, und Patrick tanzt richtig gut. Morgen fahren wir mit seiner Pfadfindergruppe nach Stonehenge. Das wird sicher total cool.»
Pfadfindergruppe, dachte Laura. Zu Hause fand Sofia Pfadfinder total uncool.
«Wie ist das Essen?», fragte Laura, weil ihr im Augenblick nichts anderes einfiel.
«Ziemlich schrecklich. Aber es gibt Schlimmeres. Woanders müssen die Menschen hungern.»
«Was?»
«Ich meine, solange man überhaupt was essen kann, ist das doch schon viel!»
Laura überlegte, was diese revolutionären Ideen in Sofia ausgelöst haben könnte. Vermutlich Patrick. Zu Hause jedenfalls war Sofia mit dem Essen ziemlich wählerisch, und der Hinweis auf Hungernde hätte vermutlich einen Wutanfall provoziert.
«Bist du noch da, Mama?»
«Jaja. Wie geht es Luca?»
«Dem geht’s auch super. In seiner Schule ist was Irres gelaufen mit Nazis und so. Genau weiß ich es nicht, aber er wird es dir bestimmt erzählen. Jedenfalls hat er die Sache ganz cool hingekriegt.»
«Was sagst du da? Mit Nazis? Könntest du dich ein bisschen klarer ausdrücken?»
«Ich weiß auch nichts Genaues. Du kennst doch Luca und seine Geheimnisse. Außerdem muss ich gleich los. Die andern warten schon auf mich!»
«Schon gut. Pass auf dich auf, Sofi!»
«Klar. Ciao, Mama!»
Schon
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