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Hundszeiten: Laura Gottbergs fünfter Fall

Hundszeiten: Laura Gottbergs fünfter Fall

Titel: Hundszeiten: Laura Gottbergs fünfter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felicitas Mayall
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war sie weg. Bald vierzehn, dachte Laura. Patrick ist sechzehn. Besser, ich vergesse das einfach.
    Ihre Wohnung unterm Dach war inzwischen so heiß wie ein Backofen. Vor ihr lag ein freier Abend. Es war kurz vor acht. Angelo würde sich nicht vor neun melden. Sie konnte also tun, was sie wollte. Ein Buch lesen, ihre Freundin Barbara anrufen, vor sich hin starren, Tagebuch schreiben, ein Tomatensandwich essen, versuchen, ihren Sohn Luca zu erreichen … Aber all das wollte sie nicht. Genau jetzt wollte sie am liebsten vor dem Ristorante Aglio e Olio in Siena sitzen, mit Angelo und den anderen. Das war schlicht die Wahrheit. Plötzlich fühlte sie sich wie abgeschnitten vom wirklichen Leben.
    Langsam schlenderte Laura ins Wohnzimmer, legte sich auf die große grüne Couch mit dem Sonnenblumenmuster und starrte an die Decke. Natürlich ging es auch ohne Angelo. Es ging sogar ohne ihre Kinder. Aber es war nicht so schön. Eher still. Ein bisschen sehr still sogar. Wenigstens in diesem Augenblick.
     
    Fast zwei Stunden lang saß Ralf, der Steinmetz, auf den Stufen unter den riesigen steinernen Löwen, die den Aufgang zur Feldherrnhalle bewachten. Er wartete, bis die Scheinwerfer eingeschaltet wurden, die Siegestor und Theatinerkirche beleuchteten. Als die ockerfarbenen Türme der Kirche und das helle Tor am Ende der Ludwigstraße in der Dämmerung aufstrahlten, fühlte er sich ein bisschen wie ein König. Zum Beispiel wäre er gern auf einen der Löwen geklettert, hätte die Arme ausgebreitet und eine Rede gehalten. Aber er wusste nicht, worüber er reden sollte, und deshalb ließ er es bleiben. Außerdem hätte ihn die Polizei sofort von dem Löwen heruntergejagt, denn in letzter Zeit gab es überall in der Stadt versteckte Kameras, die alles überwachten.
    War ohnehin schon ein Wunder, dass er seine chinesischen Nudeln mit Gemüse und Rindfleisch in Ruhe hatte essen können. Vielleicht lag das an den amerikanischen Touristen, die in seiner Nähe riesige Mengen Pommes aus großen Tüten verdrückten. Einer von denen fragte ihn, ob er ein Foto von den Pommesfressern machen könnte. Machte er doch glatt. Gab kein Geld dafür, aber das Gefühl, ein bisschen dazuzugehören. War manchmal nicht schlecht, dieses Gefühl. Obwohl er nicht wirklich dazugehören wollte. Er war ganz zufrieden mit sich und seinen Steinen und dem Anhänger unterm Friedensengel.
    Sorgsam verstaute er seine leer gegessenen Plastikschüsseln im Abfalleimer am Rand des Odeonsplatzes und machte sich auf den Heimweg. Im Hofgarten roch es nach Rosen, und auf einer der Bänke spielte jemand Gitarre. Der Park selbst war dunkel, außen herum leuchtete alles: die Kuppel der Staatskanzlei, die königliche Residenz, das Prinz-Karl-Palais, das Haus der Kunst. Ralf gefiel das. Wieder kam er sich vor wie ein kleiner König, breitete die Arme aus und drehte sich um sich selbst. War kein schlechter Tag gewesen. Und er hatte Besuch bekommen – von einer Frau! Ralf dachte nur in Tagen, in guten und schlechten. Nie weiter. Es lohnte sich nicht.
    Jetzt war er müde. Die Hitze setzte auch ihm zu. Aber Hitze war besser als Kälte. Bei Hitze konnte er überall schlafen. Bei Kälte war das anders. Er überquerte die große Kreuzung des Altstadtrings und lief entlang der Prinzregentenstraße auf den goldenen Engel zu. Seinen Engel. Es war wirklich nicht schlecht, unter einem Engel zu wohnen. An einem Fluss unter einem Engel mit goldenen Flügeln. Auch wie ein König. Ralf hüpfte ein paar Meter auf einem Bein, fiel beinahe hin und dachte: Übermut tut selten gut! Das hatte sein Vater immer gesagt, wenn der kleine Ralf sich zu sehr freute.
    «Übermut tut verdammt gut!», schrie er und machte ein paar Luftsprünge. Es war niemand da, der ihn blöd hätte anreden können. Nicht mal Autos auf der Straße. Gar nichts. Jetzt hatte er schon die Isarbrücke erreicht und freute sich auf sein Bett ganz oben auf dem silbernen Anhänger.
    Doch mit der Brücke stimmte was nicht. Auf seinen Instinkt konnte Ralf sich verlassen. Es war nur so ein Gefühl, eine Ahnung. Er konnte es riechen, noch nicht einmal hören, kauerte sich hinter einen der steinernen Pfosten und spähte vorsichtig um die Ecke.
    Dann sah er sie kommen. Die gesamte Breite der Brücke nahmen sie ein, marschierten nebeneinander. Nicht Arm in Arm, nur nebeneinander. Schwarze Gestalten, die marschierten. Sie sagten nichts, sangen nicht, marschierten einfach. Ralfs Herz begann zu rasen. Er schaute sich um, suchte mit den

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