Hundszeiten: Laura Gottbergs fünfter Fall
Vielleicht würde ein halbes Jahr genügen – das andere halbe könnte sie mit Angelo verbringen, wenigstens teilweise. Sie könnte ausprobieren, ob sie ihn länger als ein paar Wochen aushielt. So viele Wochen waren es bisher nicht gewesen. Immer nur Tage. Seit vier Tagen hatten sie nicht telefoniert. Es war an ihr anzurufen. Sie rief viel zu selten an. Fast immer kam er ihr zuvor. Es machte ihn ärgerlich, das hatte er inzwischen deutlich gezeigt.
Er lebte allein. Sie hatte Kinder. Das waren verschiedene innere und äußere Verfassungen. Und genau das hatte sie beide eingeholt nach der ersten Begegnung vor über einem Jahr. Die erste Begegnung hatte sich ein bisschen so angefühlt, wie Ralf es beschrieben hatte – nur Gegenwart, keine Vergangenheit. Und es hatte sehr geschmerzt, diese kostbare Gegenwart aufzugeben und wieder in die Vergangenheit zurückzukehren.
Laura schaute auf die Uhr. Zehn nach sechs. Wenn nichts Ungewöhnliches passiert war, dann könnte Angelo zu Hause sein. Aber wahrscheinlich saß er vor irgendeiner Bar oder einem Café in Siena. Dachte er an sie, oder war er ganz zufrieden mit sich und seinem relativ freien Leben?
Entschlossen griff sie zum Telefon und wählte seine Nummer. Seine Stimme auf dem Anrufbeantworter war fremd, so distanziert und arrogant italienisch, dass sie keine Nachricht hinterließ.
Sie trank ein Glas Wasser, wanderte durch alle Zimmer ihrer großen Wohnung, kehrte zum Telefon zurück und tippte seine Handynummer ein.
«Buona sera, Laura.»
Seine Antwort kam so schnell, dass sie nur ein heiseres «Ciao, Angelo» zustande brachte. Diese verdammten Displays.
«Wie geht es dir?» Stimmengewirr im Hintergrund.
«Ich weiß nicht genau», antwortete sie.
«Che cosa hai detto? Ich versteh dich kaum, hier ist es ziemlich laut.»
«Wo bist du denn?»
«Ich sitze mit Dottor Salvia, Tommasini, seiner Frau und seinem Bruder vor dem Aglio e Olio und warte darauf, dass endlich die Sonne untergeht.»
«Habt ihr noch einen Stuhl für mich?»
«Natürlich!»
«Geht’s dir gut?»
«Ja, sehr gut. Es ist nur zu heiß. Wir hatten heute einundvierzig Grad. Ich bin zu meinem Vater umgezogen, weil ich es in meiner Wohnung unterm Dach nicht mehr aushalte. Bei euch ist es doch ähnlich!»
«Ja, es ist schrecklich.»
Was reden wir da eigentlich, dachte Laura. Irgendwer am anderen Ende in Siena machte eine Bemerkung, und sie hörte Gelächter, hatte die Bemerkung aber nicht verstanden.
«Bist du noch da, Laura?»
«Wer lacht denn da?»
«Ach, das waren die Leute am Nebentisch. Hatte irgendwas mit einem geschmolzenen Eis zu tun.»
«Ist wohl kein guter Augenblick, oder?»
«Ich stehe gerade auf und suche einen ruhigen Platz. Aspetta …»
Laura versuchte, ihm akustisch zu folgen, hörte Geschirrklappern, Rufe, Türen, die sich öffneten oder schlossen, dann Stille.
«Bist du noch da?» Plötzlich war er ganz klar zu verstehen, seine Stimme hallte ein wenig.
«Jaja. Wo bist du denn jetzt?»
«Auf der Herrentoilette. Da ist es ruhig und kühl. Oder ist dir das unangenehm?» Er lachte leise.
«Nein, solange du nicht pinkelst, während wir uns unterhalten!»
Er lachte laut.
«Das würde ich nie wagen. Wie geht es dir, Laura?»
«Ich weiß es nicht. Ich habe ein blaues Auge, trinke Kaffee mit Obdachlosen, grabe in der Vergangenheit und verweigere die Notstandsverordnungen von durchgeknallten Vorgesetzten. Außerdem träume ich von Fröschen.»
«Klingt ziemlich ernst. Ma io ci casco sempre … Ich falle immer auf dich herein. Was von alldem ist wahr?»
«Alles!»
«Wieso hast du ein blaues Auge?»
«Weil ein Penner mir einen Schlag versetzt hat.»
«Warum hat er das gemacht?»
«Weil ich ihn angefasst habe.»
«Und warum hast du ihn angefasst?»
«Weil ich dachte, dass er krank sein könnte.»
«Offensichtlich war er nicht krank, oder?»
«Nein.»
«Hast du zurückgehauen?»
«Nein. Ich habe Kaffee mit ihm getrunken.»
Das Geräusch einer Toilettenspülung ertränkte Lauras Antwort.
«Was hast du?»
«Ich habe Kaffee mit ihm getrunken.»
«Dove? In einer Bar?»
«Nein. Wir haben Cappuccino in einem Fußgängertunnel getrunken, da wohnt er nämlich. Der Cappuccino war schrecklich.»
«Ist alles in Ordnung mit dir?»
Laura lachte.
«Es klingt absurd, nicht wahr? Aber genau so war es. Ich dachte, die Geschichte würde dir gefallen.»
«Wirst du ihn wiedersehen?»
«Ma, Angelo! Geht’s dir noch gut? Du wirst doch nicht auf einen Obdachlosen
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