Hundszeiten: Laura Gottbergs fünfter Fall
damit du beruhigt bist: Sie kocht nicht so gut wie deine Mutter, aber sie gibt sich Mühe.»
«Ach, Babbo. Du musst Mama nicht in Schutz nehmen. Ich bin froh, dass du eine so nette Nachbarin hast. Und ich bin überhaupt nicht eifersüchtig, falls du das befürchtest. Sieh mal, wenn sie die Zettel mit dem roten Filzstift nicht in deiner Wohnung verteilt hätte, dann müsste ich das tun. Und bei mir würdest du bestimmt wütend werden!»
«Na ja, zurzeit werde ich überhaupt nicht wütend. Ich trinke brav und bin froh, dass dieses Wetter mich noch nicht umgebracht hat. Zwei Todesanzeigen habe ich diese Woche schon bekommen. Alte Kollegen. So ist das.»
«Traurig?»
«Ach …» Emilio Gottberg fuhr mit der Handfläche über den Tisch. «Nein, ich kann nicht sagen, dass ich wirklich traurig bin. Es ist nur so, dass die Welt immer enger wird – ein bisschen wie ein Tunnel, und am Ende gibt es nur einen einzigen Ausgang. Das ist nicht schlimm – und wir Menschen wissen es ja. Wir glauben es nur nicht so richtig.» Plötzlich kicherte er. «Soll ich dir was verraten? Wir glauben alle an die eigene Unsterblichkeit, solange es geht. Ich habe lange Zeit gedacht, dass deine wunderbare Mutter und ich unsterblich wären. Erst sehr spät nicht mehr. Und dann dachte ich, dass ich ohne sie nicht weiterleben könnte. Aber jetzt tu ich es doch. Meistens fehlt sie mir – aber manchmal lebe ich einfach gern weiter. So wie im Juni, als wir in Siena waren und ich mich mit dem Vater von deinem Commissario angefreundet habe. Und als mich die Cousine von Angelo mit ihrem köstlichen Essen verwöhnte und als ich auf dem Campo sitzen durfte, solange ich wollte.»
«Ja», murmelte Laura und legte die Melone in den Kühlschrank.
«Sag nicht einfach ja . Es klingt so, als würdest du dich nicht im Geringsten für meine Einsichten interessieren!»
Laura drehte sich zu ihrem Vater um.
«Natürlich interessieren mich deine Einsichten! Und ich finde es sehr schön, dass du wieder gern lebst. Schreibst du all das für deine Enkel auf?»
«Natürlich, für dich übrigens auch, weil wir viel zu wenig Zeit haben, um über die wichtigen Dinge des Lebens zu reden.»
«Ich finde, wir reden ziemlich viel miteinander.»
«Nicht genug, Laura. Eines Tages ist alles vorbei, und dann reden wir nie wieder. Würdest du mir bitte ein Glas Weißwein einschenken. Angelos Vater hat mir einen Karton Bianco di Pitigliano geschickt. Er ist hervorragend. Im Kühlschrank steht eine angebrochene Flasche. Und sag nicht, dass Alkohol bei dieser Hitze schlecht für mich ist!»
Laura nahm zwei Gläser aus dem Küchenschrank und goss ein wenig Wein hinein.
«Gespritzt oder pur?»
«Pur! Aber wenig. Du kannst übrigens allmählich deine Sonnenbrille absetzen. So hell ist es in meiner Küche wirklich nicht.»
«Ich behalte sie aber lieber auf.»
Laura mischte ihren eigenen Wein mit Mineralwasser. «Bleiben wir hier, oder setzen wir uns auf den Balkon?»
«Lass uns lieber ins Wohnzimmer gehen. Da ist es noch am kühlsten. Auf dem Balkon kann man nur nachts sitzen.» Mühsam erhob er sich und folgte Laura über den Flur.
«Wieso willst du die Sonnenbrille aufbehalten? Wahrscheinlich hast du dich bei deinem schrecklichen Beruf wieder irgendwo verletzt und willst mich nicht aufregen. Aber ich rege mich nicht auf! Solange du lebendig bist, rege ich mich nicht auf!»
«Also gut!» Laura nahm die Brille ab. «Ich habe ein Veilchen. Ich wollte einen Obdachlosen retten, und der hat ausgeschlagen wie ein Pferd.»
Der alte Gottberg brach in schallendes Gelächter aus. «Na, da hast du wieder was gelernt. Rette nie jemanden, der nicht gerettet werden will. Nettes Veilchen.»
«Das kann man sagen. Aber davon abgesehen: Ich möchte auch mit dir reden, nicht nur du mit mir.» Sie ließen sich in die tiefen Sessel sinken und prosteten sich zu. «Allerdings nicht über das Leben als solches, sondern über ganz konkrete Fragen.»
«Und welche?»
«Was wäre, wenn eine Jüdin ihre Mutter rächen würde und deshalb einen uralten Mann mit einem Pflanzenschutzmittel vergiftet hätte. Würdest du diese Frau verfolgen? Ich frage dich jetzt als Rechtsanwalt und als Mensch.»
Der alte Gottberg nahm einen kräftigen Schluck und nickte vor sich hin.
«Das sind zwei ganz verschiedene Dinge: Rechtsanwalt und Mensch. So geht das nicht, Laura. Als Rechtsanwalt muss ich mich nach dem Gesetz richten. Da ist ein Mord ein Mord und damit basta. Manchmal gibt es mildernde Umstände.
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