Hundszeiten: Laura Gottbergs fünfter Fall
sah nicht so aus, als würde sie wieder mit Blumenvasen um sich werfen, aber sie grüßte nur kurz und vermied es, Laura direkt anzusehen.
Marion Stadler bemühte sich um eine harmlose, heitere Atmosphäre, schenkte Laura ein Glas Tee ein, plauderte über das Wetter und sagte, dass man viel trinken müsse.
«Jaja! Reden S’ nur g’scheit daher!», sagte die alte Frau plötzlich. «Wer keinen Durscht hat, der trinkt nix, und damit basta!»
«Aber man wird wirr im Kopf, wenn man nicht genügend trinkt. Ich kann dann gar nicht mehr richtig denken und werde furchtbar müde.» Die junge Frau lachte.
Anna Neugebauer runzelte die Stirn und warf ihrer Nachbarin einen strengen Blick zu.
«Mir ist es wurscht, wenn ich nicht richtig denken kann. Manchmal ist das besser. Aber jetzt hör auf mit deinen Sprüchen, Marion. Die Kommissarin hält uns sonst beide für deppert!»
Sie ist also sehr klar im Kopf, dachte Laura und lächelte. Laut sagte sie: «Sie klingen wie mein Vater.»
Anna Neugebauer schnaufte verächtlich.
«Dass die Leut sich immer anbiedern müssen. So als wären wir Alte komische Viecher, mit denen man vorsichtig umgehen muss. Jetzt sagen Sie schon, was Sie wollen, und dann sag ich Ihnen, ob ich was weiß!»
Marion Stadler, die gerade hinter ihrer alten Nachbarin stand, hob die Augenbrauen und einen Daumen.
«Sie klingen immer noch wie mein Vater», gab Laura zurück. «Der lässt sich nämlich auch nicht wie ein komisches Tier behandeln. Außerdem wollt ich das auch gar nicht. Aber kommen wir zur Sache, wie Sie das gefordert haben. Der Dobler ist tot. Vor dem brauchen Sie sich nicht mehr zu fürchten. Er könnte Ihnen eh nichts mehr anhaben. Aber ich kenne inzwischen die Geschichte der Marons, und deshalb verstehe ich Ihre Wut ganz gut, Frau Neugebauer.»
Plötzlich sank die alte Frau in sich zusammen und atmete schwer. Als Marion Stadler sich erschrocken über sie beugte, machte sie eine abwehrende Handbewegung und richtete sich mühsam auf.
«Wer hat Ihnen das erzählt?»
«Der Herr Mayer.»
«Wie kommt der dazu? Ich mein … da geht die ganze Geschichte wieder von vorn los! Aber ich will nicht, dass sie wieder losgeht! Keiner soll mehr irgendwas verraten! Und ich sag gar nichts, weil ich nichts weiß.» Wieder sank sie in sich zusammen.
«Frau Neugebauer, ich möchte Sie nicht aufregen. Was ich inzwischen weiß, das macht Sie zu einer Heldin. Ich bewundere Sie sehr. Und ich wüsste gern, wie Sie das durchgestanden haben, damals und auch hinterher.»
Die alte Frau schüttelte heftig den Kopf. «Hören S’ auf! Sagen S’ nix mehr! Ham Sie mich verstanden?»
«Soll ich rausgehen?» Marion Stadler stand schon an der Tür.
«Du bleibst da!» Anna Neugebauer hob den Kopf. «Kannst es ruhig hören. Dann können die hinterher nicht das Gegenteil behaupten. Das machen die nämlich immer. Die von der Gestapo, und die von der Polizei werden auch nicht besser sein!»
Marion Stadler lehnte sich mit dem Rücken gegen die Tür. «Also, die Gestapo gibt’s schon lang nicht mehr, Frau Neugebauer! Und die Kommissarin will Ihnen bestimmt nicht die Worte verdrehen!»
«Gibt auch keine Worte! Ich weiß nix über die Marons. Die sind damals verschwunden. Und der Dobler war auch irgendwann weg. Aus!»
«Gut. Das ist die eine Geschichte», sagte Laura leise. «Aber da ist noch eine andere. Sie haben eine jüdische Familie versteckt, obwohl Ihr Mann offensichtlich ein Nazi war. Hat er es eigentlich jemals rausbekommen?»
Anna Neugebauer legte beide Hände flach auf den Tisch und betrachtete sie so erstaunt, als hätte sie sie nie zuvor gesehen. Dann hob sie den Kopf und reckte ihr Kinn vor.
«Bilden Sie sich nix ein, Frau Kommissarin! Damals waren alle Nazis. Jedenfalls offiziell! Niemand wollt nach Dachau! Ihr könnt das gar nicht beurteilen, ihr Jungen. Überhaupt nicht!»
Marion Stadler blickte zur Decke und verzog das Gesicht.
«Ich wollte eigentlich nur wissen, ob Ihr Mann etwas von Ihrer Heldentat gewusst hat.» Laura drehte das Teeglas hin und her.
«Wieso, was geht Sie mein Mann an? Der is schon vor zwanz’g Jahr g’storben!»
«Mich hätt nur interessiert, was er dazu gesagt hat, dass Sie die Frau Maron und ihre Tochter versteckt haben.»
«Der hat nix g’sagt.»
«Und auch nichts g’wusst?»
«Natürlich nicht!»
«Und warum haben Sie es ihm nie gesagt? Ich meine, nach dem Krieg? Wollten Sie nicht? Ich meine, in all den Jahren …»
Anna Neugebauer schlug zweimal heftig auf die
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