Hundszeiten: Laura Gottbergs fünfter Fall
sie zusammen. Sie zählte bis fünf, ehe sie «Ja, bitte!» rief.
Den großen dunkelhaarigen Mann, der mit verlegenem Lächeln eintrat, kannte sie vom Sehen. Er war ähnlich jung wie die Kollegin, die hinter seinem Rücken auftauchte. Sie allerdings war blond und rosig.
«Bader, Florian, Kriminalhauptmeister», murmelte der Dunkelhaarige. «Der Chef hat gesagt, dass Sie Unterstützung brauchen. Das ist Kriminalmeister Braun.»
«Braun, Ines», fügte die junge Frau hinzu und verschränkte die Hände auf dem Rücken.
«Setzen Sie sich doch. Ich freue mich, dass Sie beide hier sind, ich brauche tatsächlich Ihre Hilfe. Es könnte für Sie beide ganz angenehm werden … zum Beispiel müssten Sie an der Isar grillen oder Picknick machen, nachts spazieren gehen, was ja zur Zeit leichter ist als tagsüber. Außerdem sollten Sie Augen und Ohren offen halten.»
«Observierung also», stellte Florian Bader sachlich fest. «Wen?»
Zurückgelehnt und mit verschränkten Armen lauschte er Lauras Worten. Lange dunkle Wimpern verdeckten beinahe gänzlich seine Augen, weil er auf einen Punkt am Boden starrte, der irgendwo zwischen Lauras Schreibtisch und dem Stuhl lag, auf dem er saß. Seine Kollegin dagegen beugte sich vor, die Ellenbogen auf die Knie gestützt, und schien Lauras Gesicht zu studieren.
«So angenehm wird’s wohl nicht werden», sagte er bedächtig, als Laura zum Ende gekommen war. «Ich kann diese Art von Leuten nicht leiden.»
«Ich auch nicht», erwiderte Laura. «Heute Abend, wenn ihr beide ein paar Würstchen oder sonst was grillt, werde ich kurz vorbeikommen. Einfach auf ein Bier, wie das an der Isar üblich ist.»
Bader nickte, richtete jetzt doch seinen Blick auf Laura. Seine Augen waren von einem warmen Braun.
«Und wenn die uns wegekeln wollen?»
«Dann murrt ein bisschen, lasst euch aber auf keine ernsthaften Auseinandersetzungen ein, sonst ist die Observierung hinfällig. Versucht erst mal, jeden direkten Kontakt zu vermeiden. Es wäre außerdem sinnvoll, wenn wir uns mit Vornamen anreden würden, das macht es einfacher. Ich heiße Laura.»
Gegen zwei Uhr antwortete Kommissar Peter Baumann endlich auf Lauras Anruf.
«Nett, dass ihr alle so besorgt um mich seid.» Seine Stimme klang heiser. «Claudia hat dich allerdings um Meilen geschlagen. Ihre Nummer steht ungefähr zehnmal auf dem Display, deine nur dreimal.»
«Ich glaube kaum, dass wir im Wettstreit um dein Wohlergehen liegen. Wie geht es dir?»
«Nicht besonders. Aber das ist eigentlich normal, wenn man vom Klo nicht mehr runterkommt.»
«Hast du Medikamente?»
«Ich glaube kaum, dass die Zeit hätten zu wirken. Was immer ich zu mir nehme, ist blitzschnell wieder draußen.»
«Hast du einen Arzt angerufen?»
«Nein. Ich trinke Tee.»
«Was für Tee?»
«Na, keinen Abführtee.»
«Sehr witzig. Fühlst du dich zittrig, oder hast du Krämpfe in den Beinen?»
«Ich schwitze, Mama, und mir ist sauschlecht.»
«Kannst du nicht einen Moment ernst sein? Hier in der Stadt sterben Leute an Brechdurchfall und Dehydrierung. Außerdem haben wir einen neuen Mordfall, und du fehlst!»
«Doch nicht etwa einen häuslichen Todesfall eines älteren …»
«Nein!», unterbrach ihn Laura. «Es ist ein älterer Penner, der erst erschlagen und dann in die Isar geworfen wurde. Aber davon abgesehen: Mit einem Kommissar, der ständig aufs Klo muss, kann ich nichts anfangen. Brauchst du was? Soll ich vorbeikommen?»
«Wir sind ja nicht in der ehemaligen DDR. Soziale Kontrolle von Vorgesetzten ist bei uns nicht üblich. Ich danke dir, meine Freundin wird sich um mich kümmern. Jetzt entschuldige bitte, es geht wieder los!»
Diesmal wurde Laura weggedrückt, und sie dachte ein paar Minuten lang darüber nach, ob sie die Sache mit dem Brechdurchfall glauben sollte oder nicht.
Und: Hatte er überhaupt eine Freundin? Eigentlich war ihr beides ziemlich egal. Jedenfalls im Moment, denn ihr Handy klingelte. Marion Stadler, die junge Nachbarin von Frau Neugebauer, war dran. Sie sagte, dass die alte Dame möglicherweise zu einer Aussage bereit sei.
«Aber garantieren kann ich gar nichts, Frau Kommissarin. Die Frau Neugebauer ändert ihre Meinung innerhalb von Minuten. Also kommen Sie schnell.»
Genau dreizehn Minuten später klingelte Laura bei Marion Stadler. Der BMW mit mobilem Blaulicht hatte seine Vorteile, auch wenn er etwas streng roch. Zu Lauras Erstaunen saß Anna Neugebauer in der Wohnküche ihrer Nachbarin und trank gekühlten Tee. Es
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