Hundszeiten: Laura Gottbergs fünfter Fall
«Du bist immer gut für Überraschungen, Laura, das muss ich dir lassen. Ich hatte jetzt eher einen Wutanfall erwartet. Mir wurde in letzter Zeit übrigens auch alles zu viel, auch deine Art, mich zu kritisieren. Und ich bin sicher, dass du meine Krankheit für eine Erfindung gehalten hast!»
«Ja, ich habe sie für Rache gehalten, weil wir uns vorher dauernd gegenseitig angeblafft haben. Ich dachte, du nimmst dir eine Auszeit, um mir zu zeigen, wie aufgeschmissen ich ohne dich bin!»
«Danke.»
«Bitte.»
«Noch was?»
«Es tut mir leid.»
«Was?»
«Dass ich eklig zu dir war.»
«Mir auch.»
«Was? Dass ich eklig zu dir war?»
«Dass ich eklig zu dir war.»
«Übertreib nicht, sonst hören wir plötzlich Musik, und Engel schweben durchs Zimmer.»
«Fang nicht wieder an.»
«Nein, ich fange gar nichts an. Ich gebe dir jetzt die Akten, dann kannst du dich an den Computer setzen und recherchieren. Ich brauche alles über diesen Michael Geuther, über die ‹Schwabinger Stürmer› und deren Umfeld. Vielleicht gibt es einen V-Mann, bisher waren die vom Nachrichtendienst nicht besonders freigebig mit ihren Informationen.»
«Okay. Die Sache interessiert mich. Aber ich muss dich warnen. Mein Arzt hat mir maximal vier Stunden Arbeit erlaubt. Ich hatte nämlich Amöbenruhr. Das ist eine tropische Krankheit, die den gesamten Körper schwächt. Und ich bin nicht der einzige Fall in München. Mein Arzt sagte außerdem, dass er auf die ersten Fälle von Dengue-Fieber und Typhus warte.»
«Das hat Commissario Guerrini auch angekündigt», murmelte Laura.
«Was?»
«Guerrini hat erzählt, dass sie in Italien auch mit einem Ausbruch von Dengue-Fieber rechnen.»
«Zurzeit komme ich mir vor wie in einem dieser Endzeit-Hollywoodfilme.» Baumann versuchte ein Lächeln. «Alles ein bisschen aus der Realität gerutscht, was? Sag Guerrini einen Gruß, und er soll sich vor der Amöbenruhr in Acht nehmen. Das einzig Positive daran ist, dass man seinen Speck blitzschnell loswird! Allerdings zum Preis von Schwächeanfällen und dem Wunsch nach einem schnellen und gnädigen Tod.»
Laura lächelte ihm zu. «Wieder gut?»
Er verzog das Gesicht und nickte. «Wieder gut. Dann machen wir uns mal an die Arbeit. Übrigens: Es freut mich, dass du mich brauchst.» Er lief zur Tür, riss sie auf und brüllte auf den Flur hinaus: «Du kannst wiederkommen, Claudia!»
Er arbeitete genau vier Stunden, legte ein kleines Protokoll seiner Ergebnisse auf Lauras Schreibtisch und ging nach Hause. Die Dinge waren noch nicht so gut, wie sie sein könnten, aber ein Anfang war gemacht. In den vier Stunden hatte er immerhin herausgefunden, dass Michael Geuthers Großvater Konrad hieß und ein ziemlich hoher Nazi in der Münchner Stadtverwaltung gewesen war. Nach dem Einmarsch der Amerikaner war er verhaftet und vor Gericht gestellt worden, weil er für die Deportierung von Juden verantwortlich war. Kurz nach seiner Verurteilung zu einer lebenslangen Haftstrafe erhängte er sich in seiner Gefängniszelle.
Laura rief die Nachbarin von Frau Neugebauer an und fragte, ob es möglich sei, die alte Dame zu besuchen.
«Nein, auf gar keinen Fall!», erwiderte Marion Stadler. «Es geht ihr sehr schlecht. Diese Hitze bringt die alten Leute um. Vorhin hat sie auch noch erfahren, dass der Herr Mayer gestorben ist. Seitdem redet sie nicht mal mehr mit mir.»
«Wer hat es ihr denn gesagt?»
«Eine Nachbarin hat bei ihr angerufen. Eins von diesen Klatschweibern. Ich war gerade bei ihr, um ihr die Einkäufe zu bringen. Sie hat gesagt, dass jetzt alles zu Ende geht und sie auch nicht mehr mag. Dann hat sie sich auf ihr Sofa gesetzt, und da sitzt sie wahrscheinlich noch immer und schaut vor sich hin. Sie will nichts trinken und nichts essen.»
«Kümmert sich jemand um sie?»
«Ja, ich. Ich geh alle halbe Stunde rüber und schau nach. Sie hat mir den Schlüssel zu ihrer Wohnung gegeben, was an ein Wunder grenzt!»
«Könnten Sie die Frau Neugebauer fragen, ob sie früher einen Konrad Geuther gekannt hat?»
«Nein, Frau Kommissarin, ich frag die Frau Neugebauer gar nichts mehr, weil ich sie nicht umbringen will. Irgendwann reicht’s. Vorhin hat sie gesagt, dass es die alten Geschichten waren, die den Mayer umgebracht hätten, und dann sind ihr die Tränen runtergelaufen. Ich weiß nicht genau, um was es geht, und inzwischen will ich es auch gar nicht mehr wissen. Die Leutchen sind alle beinah neunzig! Kann man die nicht in Ruhe lassen?»
«Ich
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