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Hundszeiten: Laura Gottbergs fünfter Fall

Hundszeiten: Laura Gottbergs fünfter Fall

Titel: Hundszeiten: Laura Gottbergs fünfter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felicitas Mayall
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Steineichen, Zypressen, Schirmpinien, die in Flammen aufgingen. Spürte diesen Schmerz, der von ihrer Wirbelsäule aus in den ganzen Körper strahlte, wie immer, wenn das Leben ihr zu nahe ging.
    Als sie an der nächsten Ampel anhalten musste, fragte sie sich, wohin all die Autos verschwinden würden, wenn das Fahrverbot um elf in Kraft träte. Sie versuchte sich vorzustellen, was geschähe, wenn die Fahrer einfach ausstiegen und zu Fuß weitergingen. Ein Gesamtkunstwerk der zusammenbrechenden Zivilisation würde entstehen. Was hatte ihr Sohn Luca einmal gesagt, als er im Radio von einem Fünfzig-Kilometer-Stau auf irgendeiner Autobahn hörte? «Gigantisch! Das sollte man in Beton gießen! Stell dir vor, Mama, ein Kunstwerk von fünfzig Kilometern Länge!»
    Seltsame Gedanken kamen ihr in den letzten Wochen, obwohl sie eigentlich nicht zu Endzeitvisionen neigte. Die Hitze schien jede Form von positivem Denken allmählich aufzulösen, in einen melancholischen Klumpen zu verwandeln, der im Kopf hing, müde machte und klares Denken verhinderte. Vorhin, angesichts des toten Karl-Otto Mayer, hatte sie tiefe Trauer empfunden, bei der kurzen Begegnung mit dem Neonazi Geuther Wut – jetzt, in diesem Augenblick, inmitten dieses irrsinnigen Verkehrs, bei achtunddreißig Grad, noch ehe es Mittag war, empfand sie nur eine lähmende Taubheit, als wären ihre Fingerspitzen eingeschlafen und alle Nervenenden dazu. Der Zustand erschien ihr gefährlich, das groteske Pendant zu einer Erfrierenden, die versuchen muss, um jeden Preis wach zu bleiben. Laura schüttelte den Kopf, schlug mit den Händen aufs Steuerrad und schaltete das Radio wieder ein. Sie spielten «Smoke on the water, twilight in the sky!». Laura sang laut mit.
     
    Eine halbe Stunde später stand Laura im Dezernatsbüro Kommissar Baumann gegenüber. Er war blass, hatte deutlich an Gewicht verloren, und erst jetzt glaubte sie wirklich an seine Erkrankung. Bisher hatte sie Baumanns Abwesenheit eher für einen Racheakt gehalten.
    «Claudia hat mir gesagt, dass ich unbedingt kommen muss, weil du mich brauchst. Also sag mir, ob das wahr ist. Wenn nicht, leg ich mich wieder ins Bett.»
    Hastig griff die Sekretärin nach einem Ordner und verließ den Raum. Das hat sie gut arrangiert, dachte Laura. Meine Sekretärin und Verbündete zwingt mich dazu, Farbe zu bekennen.
    «Also, ich höre! Für ältere Leichen stehe ich nicht zur Verfügung, für ernsthafte Schwierigkeiten schon.» Ganz entspannt stand Peter Baumann da, eine Hand in der Hosentasche seiner Jeans, und betrachtete Laura auf so interessierte und gleichzeitig distanzierte Weise, dass sie sich höchst unbehaglich fühlte. Deshalb ging sie zum Kühlschrank, nahm eine Wasserflasche heraus und füllte ein Glas.
    «Willst du auch eins?»
    «Nein.»
    «Bist du sauer auf mich?»
    Der junge Kommissar lachte auf. «Kannst du dir vorstellen, dass Menschen krank werden, ohne dass es einen direkten Zusammenhang mit dir gibt?»
    «Also doch!»
    «Was, also doch?»
    «Du bist sauer auf mich. Sonst würdest du keinen so ekelhaften Satz formulieren.»
    «Ekelhaft, aber wahr!»
    Laura setzte sich hinter den Schreibtisch auf Claudias Sessel und trank langsam ein paar Schlucke Wasser. Baumann hielt ihr Schweigen genau eine Minute und zwanzig Sekunden aus – das konnte Laura auf der großen Uhr über der Tür verfolgen. In der einundzwanzigsten Sekunde holte er tief Luft und sagte: «Ist das der letzte Schrei in puncto Menschenführung?»
    Laura stellte das Glas ab und sah ihn an. «Kannst du dir vorstellen, dass mir nichts dazu einfällt? Dass ich nicht schlagfertig, nicht schnell und noch nicht einmal heftig bin? Es geht mir nicht besonders gut, Peter. Mir gehen die Dinge zu sehr unter die Haut, und das ist schlecht in unserem Beruf. Du hast die beiden brutalen Morde an Obdachlosen nur aus der Ferne mitgekriegt, ich habe die Opfer gesehen. Außerdem ist letzte Nacht Karl-Otto Mayer gestorben, den du ja auch ziemlich gut kennst. Vor seinem Tod hat er ein herzzerreißendes Mordgeständnis abgelegt, um einen anderen Menschen zu schützen. Und ich weiß nicht, ob es an dieser verfluchten Hitze liegt … in meinem Kopf vermischen sich all diese Ereignisse, als würden sie zusammenhängen, aber ich weiß nicht, wie und warum. Deshalb brauche ich dich, damit du alles schön sortierst und mir dann sagst, ob ich spinne oder nicht.»
    Peter Baumann nahm die Hand aus der Hosentasche, legte sie auf seinen Hinterkopf und schaute zur Decke.

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