Hundszeiten: Laura Gottbergs fünfter Fall
versteh Sie ja, Frau Stadler.» Laura suchte nach den richtigen Worten. «Es ist eine tragische Geschichte, die den Herrn Mayer und die Frau Neugebauer verbindet. Aber sie ist selbst nach dieser langen Zeit noch nicht ganz geklärt. Ich denke, dass der alte Herr Mayer seinen Frieden gefunden hat, weil er die alte Geschichte für sich gelöst hat. Die Frau Neugebauer aber noch nicht. Deshalb geht es ihr so schlecht.»
«Meine Güte, klingt das kompliziert. Sind Sie Psychologin? Wissen Sie, mir wird das allmählich zu viel. Diese Hitze und dauernd die Schwierigkeiten mit meiner Nachbarin. Ich mag sie ja, aber irgendwie haben diese Alten eine Power, da können wir Junge gar nicht mithalten. Und diese ganze Nazigeschichte ist mir eh zuwider.»
Laura seufzte.
«Mir gehen die alten Geschichten auch auf die Nerven, Frau Stadler. Aber sie gehören nun mal zu uns und unserer Geschichte. Außerdem laufen da ein paar Mörder herum, die mir noch unangenehmer sind. Deshalb bitte ich Sie um Unterstützung und nicht, weil ich Ihnen oder der Frau Neugebauer etwas antun will.»
Marion Stadler schwieg eine Weile, ehe sie widerwillig antwortete, dass sie es versuchen wolle.
«Konrad Geuther? War das der Name, nach dem ich sie fragen soll?»
«Genau, Konrad Geuther.»
«Ich hab es aufgeschrieben. Aber garantieren kann ich Ihnen nichts, Frau Kommissarin. Ich hab keine Lust, den Hilfssheriff zu spielen. Die Frau Neugebauer hat immer so Angst, dass jemand ihr nachspioniert. Das muss auch noch von früher stammen.»
«Vermutlich.»
«Also dann, ich melde mich bei Ihnen.»
«Danke, und lassen Sie sich Zeit.»
Laura legte das Telefon weg und lehnte sich in ihrem weichen Ledersessel zurück. Es war ein Versuch, weil Frau Neugebauers Ehemann auch ein aktiver Nazi gewesen war. Aber eben nur ein Versuch, vielleicht hatte sie den Namen Geuther nie gehört oder kannte ihn nur aus der Zeitung oder vom Hörensagen.
Laura las Baumanns Bericht noch einmal sorgfältig durch. Der Vater von Michael Geuther war Hauptschullehrer gewesen und musste im Pensionierungsalter sein, die Mutter Grundschullehrerin und ein paar Jahre jünger als ihr Mann. Beide schienen noch am Leben zu sein, jedenfalls hatte Baumann nichts Gegenteiliges vermerkt. Sie waren auch nicht geschieden, sondern wohnten gemeinsam in einem Einfamilienhaus in Lohhof, nördlich von München. Kontakte zu rechtsextremen Kreisen hätten beide niemals gehabt, vielmehr seien sie politisch völlig inaktiv und regelmäßige Kirchgänger.
Der Sohn allerdings hatte sich schon mit fünfzehn Jahren das erste Mal an Hakenkreuz-Schmierereien beteiligt, sich später innerhalb der Bundeswehr als strammer Rechtsnationaler hervorgetan, sich nach seinem Wehrdienst noch länger verpflichtet und so weiter und so weiter. Laura kannte solche Karrieren und überflog die folgenden Absätze nur. Natürlich leitete er nach seiner Bundeswehrzeit Wehrsportübungen, führte politische Schulungen durch, war aber erst seit relativ kurzer Zeit Mitglied der NPD. Die Gruppe «Schwabinger Sturm» hatte er vor zwei Jahren gegründet, allerdings war er selbst niemals durch gewalttätige Aktionen aufgefallen und hielt sich stets im Hintergrund. Sein Job als sogenannter Versicherungsvertreter schien eher Tarnung zu sein. Auf diese Weise konnte er relativ unauffällig alle möglichen rechten Gruppierungen besuchen.
Kommissar Baumann hatte ein paar Reden von Michael Geuther beigelegt, die vom BND aufgezeichnet worden waren. Sie klangen alle ziemlich ähnlich:
«Kameraden, lasst mich gleich zur Sache kommen! Ihr werdet vielleicht manchmal denken, dass wir nur wenige sind, aber das ist nicht wahr. Es sind Hunderttausende da draußen, die nur darauf warten, von uns abgeholt zu werden. Hunderttausende, ja Millionen, Männer, Frauen und Kinder, die nach neuen Werten dürsten, die von ihrer Angst befreit werden wollen. Der Angst vor Armut, sozialer Ungerechtigkeit, vor Kriminalität, vor Ausländern, die ihnen die Arbeitsplätze wegnehmen und den Kindern Drogen verkaufen, Angst vor dem Kapital, das die Macht an sich gerissen hat, Angst vor dem Verlust der Identität, vor der endgültigen Auflösung unserer Nation Deutschland! Wir gehören zusammen und müssen das auch zeigen! Was wir brauchen, ist eine Revolution der Tapferen, die noch an etwas anderes glauben als an Geld! Uns geht es um Kameradschaft, um Gemeinschaft, um den Stolz unserer Nation!»
Und so weiter und so weiter, auch das kannte Laura. Sie fühlte die
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