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Hungerkralle

Hungerkralle

Titel: Hungerkralle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Ebertowski
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gelegentlich bei den
Amis abstaubte, auf ihrer »Kochhexe«, einem transportablen Miniherd, den die
AEG aus Wehrmachtsschrott wie Stahlhelmen und Granatenhülsen herstellte, wahre
Leckerbissen.
    Aber dennoch fehlte beiden etwas. Sie
sprachen bisweilen ganz offen darüber. Der Altersunterschied an sich war es
nicht, Birgit war im gleichen Jahr wie Vera geboren, es war etwas anderes, und
Karl grübelte lange nach, wieso der Funke nicht überspringen wollte, fand aber
keine schlüssige Antwort. Birgit sah das Problem klarer und benannte es auch
eines Tages, ohne viel zu beschönigen.
    »Weißt du was, Karlchen, da sollten wir
uns einfach nicht viel den Kopf zerbrechen. Es ist, wie es ist. Wie Topf und
Deckel. Manchmal passt’s, manchmal nicht.« Sie legte ihm beide Hände auf die
Schultern und gab ihm einen Kuss. »Und außerdem…«
    Karl nickte. Birgit musste nicht weiter sprechen.
    Karl und Birgit blieben gute Freunde,
auch als sie ihm Ende Februar eröffnete, dass sie sich in einen Stammgast des Oriental verliebt hatte.
     
     
    »Na, Paul, was tut sich in der Stadt?«
    Major Miller streifte die gefütterten
Lederhandschuhe ab, entledigte sich seines dicken Offiziersmantels und legte
seine steifen Finger an den lauwarmen Heizkörper neben Gleasons Schreibtisch.
Das Thermometer vor dem Fenster zeigte minus zwölf Grad. Man schrieb bereits
den 13. März.
    »Sibirien pur, Bill. Ohne Ketten hätte
ich es nicht hierher geschafft.« Millers Horch hatte schon bei der ersten
schlimmen Kältewelle im Dezember den Geist aufgegeben, und der Major hatte
einen allradgetriebenen Wagen vom Flugplatzfuhrpark bekommen. Leider war die
Heizung überhaupt nicht mit der des Horch vergleichbar. Eine Fahrt in dem Jeep,
ohne festes Dach, sondern mit Stoffverdeck, hatte immer etwas von einer
Arktisexpedition.
    Gleason, der unter dem Cordjackett einen
dicken Rollkragenpullover trug, wedelte mit einem Blatt Papier. »Die
Wetterfrösche sind optimistisch.«
    Miller lächelte gequält. »Das waren sie
Ende Dezember und Mitte Januar auch, und jedes Mal ist es nur noch schlimmer
geworden.«
    Gleason schaute auf den Trampelpfad, den
die Militärpolizisten entlang des Zauns in die Schneewehen gegraben hatten.
    »Mir reicht dieser verdammte Winter auch.
Was soll’s, Paul, ewig wird er nicht mehr dauern.«
    Miller betrachtete nur skeptisch die Schneewüste,
die das Haus im Föhrenweg umgab, und dachte an die unzähligen katastrophalen
Pressemeldungen aus allen Teilen Deutschlands, die er mit Meunier in den
vergangenen Monaten durchgegangen war. Es sah böse aus. Brot war eine absolute
Luxusware geworden und musste mit bis zu sechzig Prozent Maismehl gestreckt
werden. Protestmärsche und Arbeitsniederlegungen fanden allerorts statt. Auf
dem Flugplatz Tempelhof waren die Wiederaufbaumaßnahmen völlig zum Erliegen
gekommen. Fleischrationen konnten nur noch zu zwanzig Prozent ausgeteilt
werden. Krankheiten und Seuchen grassierten, da die Menschen mangels
vernünftiger Ernährung geschwächt waren. Das öffentliche Leben war mehr oder
weniger überall zusammengebrochen. Selbst bewachte Kohlenzüge wurden ausgeplündert.
Ungezielte Warnschüsse schreckten niemanden ab. Im Tiergarten stand kein
einziger Baum mehr. Mord und Totschlag wegen einer Handvoll Lebensmittel waren
an der Tagesordnung. Es existierten keine verlässlichen Zahlen, wie viele
Menschen in der ehemaligen Reichshauptstadt erfroren oder verhungert waren,
aber es durften bislang einige Hundert, wenn nicht einige Tausend gewesen sein.
    Bill Gleason starrte unverwandt nach
draußen.
    Miller räusperte sich. »Ich nehme an,
dass du mit mir kaum über das Wetter reden wolltest, Bill.«
    Gleason schüttelte matt den Kopf.
»Natürlich nicht, Paul. Das Wetter und die damit verbundenen Probleme sind
schon beschissen genug, aber was mir meine Leute neuerdings melden, sind auch
keine Nachrichten, die mich erheitern. – Es ist wieder viel Falschgeld in
Umlauf gebracht worden.«
    »Hier in Berlin?«
    »Ja. Zwar keine enormen Beträge, aber es
läppert sich doch beachtlich zusammen.«
    »Wo?«
    »Seit der Blütenschwemme im Vorjahr
machen unsere Experten Stichproben bei den Geldinstituten, weil ein normaler
Bankmensch ja kaum imstande ist, die falschen Scheine von echten zu
unterscheiden. Bis Anfang März entdeckten sie nur hin und wieder eine falsche
Fünfzig-Mark-Banknote. Jetzt finden sie jeden Tag gleich mehrere.«
    »Haben die Russen wieder die
Druckmaschinen in Leipzig angeworfen?«
    »Die

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