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Hungerkralle

Hungerkralle

Titel: Hungerkralle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Ebertowski
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ihn mehr und mehr zur Flasche
greifen lassen. Erst wenn er genügend Alkohol getrunken hatte, war er bisweilen
wieder gesprächig wie früher. Er redete dann oft von Malta. Durch Freunde im
Londoner War Office hatte er erfahren, dass man beabsichtigte, ihn eventuell
dorthin zu versetzen.
    »Würdest du mitkommen? Auf Malta schneit
es nie. Man kennt dort keinen Frost, es gibt Oliven- und Zitronenhaine und
rundherum blaues Meer.«
    Vera hatte weder Ja noch Nein gesagt,
obwohl der Gedanke schon sehr verlockend war, Deutschland, den Ruinen, dem
Hunger und Frost den Rücken zu kehren. Aber dann war ihr eine englische Zeitschrift
mit Fotos von Malta in die Finger gekommen. Darauf waren keine Zitronen- oder
Olivenhaine zu sehen gewesen, sondern verwüstete Städte und Dörfer, und sie
hatte gelesen, dass die deutsche und italienische Luftwaffe mehr Bomben über
dem maltesischen Archipel pro Quadratkilometer abgeworfen hatten als die
Alliierten über Berlin.
    Vera stieg die Treppe zum Dachgeschoss
hinauf. In der vorherigen Nacht hatte ein Knacken sie geweckt. Der
Steingutkrug, in den sie das Kaffeewasser fürs Frühstück gegossen hatte, war
auf dem Küchentisch zersprungen. Inmitten der Scherben hatte ein Eisblock
gestanden.
    Vera stellte vorsichtshalber den Wecker
auf fünf und kroch, ohne die Kleider abzulegen, ins Bett. Sie war nicht müde,
aber vielleicht döste sie doch ein wenig ein. Leutnant Brown, Brians Adjutant,
würde sie um achtzehn Uhr abholen und zum Forsthaus fahren. Der Colonel
wollte im kleinen Kreis seinen Geburtstag feiern. Vera hoffte nur inständig,
dass er sich dann nicht wieder sinnlos mit Gin betrinken würde.
    Die Café-Bar Oriental war
vermutlich die luxuriöseste Wärmestube in Berlin, aber auch dort legte niemand
mehr das Jackett ab. Es lag keineswegs daran, dass Benno das Heizmaterial
ausgegangen wäre: Der an sich gut dimensionierte Kachelofen der Restauration
vermochte den großen Saal einfach nicht mehr ausreichend zu erwärmen. Immerhin
verblieben wegen Bennos Schwarzmarktkontakten vielfältige Möglichkeiten,
innerlich genügend Wärme zu tanken. Wohl auch dank des vielseitigen
Unterhaltungsprogramms, das im Oriental geboten wurde, florierte der
Laden trotz der grimmigen Kälte, die die Stadt lähmte. Benno hatte es
geschafft, diejenigen Leute zu schröpfen, die in Zeiten, wo jeder jeden Pfennig
umdrehen musste, das Geld mit vollen Händen ausgaben. Er tat es mit Genugtuung,
denn noch immer war Lilos vielköpfige Verwandtschaft bei ihm zu Hause davon
abhängig, dass etwas zu beißen auf den Tisch kam. Da der Laden stets voll war,
hatte Benno die meisten Schwarzmarktaktivitäten aufgeben können. Nur die
wirklich lukrativen Geschäfte wickelte er mit Elektro-Klaus’ Hilfe noch ab.
Ansonsten nahm das Oriental seine Zeit zur Genüge in Anspruch.
    Karl ging, außer zur Arbeit, nur aus dem
Haus, wenn er sich einmal in der Woche mit Birgit traf. Wegen der großen Kälte
fanden auch die Jiu-Jitsu-Abende seit Ende November nicht mehr statt. Im
Mattenraum unter dem Oriental herrschten Temperaturen wie in einer
Gefrierkammer.
    Birgit trat immer sonntags bei Benno auf.
Der Sonntag war ihr freier Tag in der Reinickendorfer Kneipe. Eine neue große
Liebe war es nicht, die sich zwischen den beiden angebahnt hatte, eher eine
unkomplizierte Zweckgemeinschaft, um gelegentlich mit jemandem eine warme Nacht
im Bett zu verbringen. Mal schlief Karl bei Birgit, mal sie bei ihm in Dahlem.
Mit den Akrobatikvorführungen kam sie im Oriental gut
an und erhielt nach der Darbietung reichlich Trinkgeld zugesteckt. Während
ihrer Solonummer sah sie hinreißend aus. Sie trug dabei langärmlige, eng
anliegende Trikots, die den zierlichen, aber durchtrainierten Körper
appetitlich zur Geltung brachten, besonders wenn sie in dem strassbesetzten
Trikot mit dem tiefen Ausschnitt auftrat. Die Unterarmnarben, die sie mit den
langen Ärmeln kaschierte, waren das bleibende Resultat eines Bombenangriffs,
als sie es nicht mehr rechtzeitig in den Luftschutzkeller geschafft hatte. Sie
war von der Druckwelle einer Luftmine gegen einen Spiegelschrank geschleudert
worden. Es war Glück im Unglück gewesen, dass sie keine größeren Verletzungen
davongetragen hatte.
    Eigentlich hätte Karl mit seiner attraktiven Freundin
zufrieden sein können. Sie stritten sich fast nie und fanden auch im Bett
durchaus Freude aneinander. Kochen konnte Birgit ebenfalls, sie zauberte aus
den spärlichsten Zutaten und den Lebensmitteln, die Karl

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