Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hungerkralle

Hungerkralle

Titel: Hungerkralle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Ebertowski
Vom Netzwerk:
Jeschke am späten Nachmittag
vom Unterricht nach Hause zurückkam, fand sie auf dem Küchentisch einen Zettel
von Robert und daneben auf einem Teller das versprochene Stück Fleisch – gutes
Suppenfleisch, das bestimmt wieder der befreundete Koch aus der
Mannschaftskantine in Tempelhof abgezweigt hatte. Der Küchensergeant war eine
verlässliche Quelle, denn er sammelte Briefmarken. Elektro-Klaus, den Robert im Oriental kennen gelernt hatte und der in Tempelhof beschäftigt
war, sammelte auch Briefmarken. Zigaretten gegen Briefmarken, Briefmarken gegen
Suppenfleisch. Eine Schüssel mit Trockenerbsen, von Robert bereits für die
Abendmahlzeit eingeweicht, stand ebenfalls auf dem Küchentisch.
    Robert hatte die Kinder, wie zuvor
vereinbart, zum Flugplatz Tempelhof mitgenommen. Sie würden in etwa einer
Stunde wieder zurück sein. Plötzlich fing Edith laut an zu fluchen: Nicht bloß,
dass die Wasserleitungen im Haus seit Wochen eingefroren waren, jetzt streikte
auch die elektrische Kochplatte ausgerechnet in der Zeit, wo es Strom gab! Sie
befühlte das Kabel. Irgendwo musste ein Wackelkontakt sein, denn der Stecker
war in Ordnung. Dabei hatte sie allen fest versprochen, dass es abends eine
heiße Suppe geben würde.
    Edith schaute in den Kohlenkasten neben
der Kochmaschine. Leer. Sie ging ins Kinderzimmer. Mit den letzten Briketts aus
dem Kasten hatte Robert den Kachelofen dort angeheizt. Zum Glück war der Vorrat
im Keller noch recht ansehnlich. Edith lehnte sich eine Weile gegen den Ofen
und spürte, wie die Wärme langsam durch ihren Wintermantel drang. In der Schule
war es vor Kälte kaum auszuhalten gewesen. Die Holzscheite, Kohlen- und
Papierreste, die die Kinder jeden Tag zum Unterricht mitbrachten, verhinderten
gerade so, dass in den Klassenzimmern die Temperaturen unter null sanken.
    Edith holte die Brennholzkiepe, nahm den
Kellerschlüssel vom Haken, zündete die Petroleumlampe an und öffnete die
Wohnungstür. Eine Treppe tiefer klopfte jemand gegen eine Tür, die sich gleich
darauf quietschend öffnete. »Ah, Sie sind’s!«, hörte sie Frau Hansen sagen. Die
Tür fiel wieder zu.
    Als Edith die schwere Holzkiepe
abstellte, um die Kellertreppentür hinter sich abzuschließen, ging, ohne sie zu
beachten, ein korpulenter Mann durch den Hausflur an ihr vorbei zum
Eingangsportal. Edith sah ihn bloß für eine Sekunde im Profil, erkannte ihn
aber sofort. Es war der Besucher von Frau Hansen. Der Mann mit den Schmissen im
Gesicht kam seit Neuem öfter zu der Witwe. Er musste in der Nähe wohnen, denn
auch auf dem Klausener Platz oder vor dem Schloss Charlottenburg war sie ihm
mehrmals begegnet.
    Edith mochte den dicken Mann nicht. Er
erinnerte sie zu sehr an die früheren mensurnarbigen Saufkumpane von Frau
Hansens Mann.

 
    12. Kapitel
    Teilweise
Erleuchtung
    durch
Fräulein Schwandt
     
     
     
    Vom 23. März an gab es in Berlin noch
leichten Nachtfrost, aber die mittleren Tagestemperaturen lagen endlich stabil
im Plusbereich. Karl war am Rande des Rollfelds gerade damit beschäftigt, einer
Gruppe von Vorarbeitern die abgeänderten Pläne der Flughafenverwaltung
bezüglich der Ausbesserung von Frostschäden auf der Landepiste zu übersetzen,
als Burns mit einem Jeep heranpreschte.
    »Der Major will Sie sprechen, wenn Sie
hier fertig sind.«
    »Give me five more minutes,
Sergeant!«
    »O.k. I’ll wait.«
    Es geschah selten, dass Major Miller
Karl, außer mittwochs, wenn beide gemeinsam die aktuelle Presse durchgingen, zu
sich ins Büro kommen ließ.
     
     
    »Please, have a seat, Mister
Charles!«
    Karl rückte einen Stuhl vor den
Schreibtisch. »What can I do for you, Major?«
    »Ich habe ein Anliegen, Mister Charles,
und will nicht lange um den heißen Brei herumreden. Ich könnte in einer sehr
diffizilen Angelegenheit Ihre Hilfe gut brauchen. Und auch die Unterstützung
von Herrn Hofmann. Aber bevor ich weiterspreche, möchte ich Ihnen versichern,
dass, worum ich Sie bitten werde, nichts mit, sagen wir mal, normalen
Schwarzmarktgeschäften zu tun hat.« Er grinste. »Mir sind Herrn Hofmanns
Aktivitäten diesbezüglich bekannt.«
    Karl nickte. Jeder Gast im Oriental, der
eins und eins zusammenzählen konnte, wusste, dass, wer den Laden in der
Schlüterstraße so aufwendig in Gang halten konnte, über ausgezeichnete Kontakte
zum Schwarzmarkt verfügen musste: russischer Krimsekt und Wein aus Frankreich
und ganz zu schweigen von den T-Bone-Steaks, die man wohl kaum auf
Lebensmittelkarte erhielt, oder dem

Weitere Kostenlose Bücher