Hungerkralle
Zeitungen sind schon alle im Druck.«
»Das bedeutet…«
»… nicht mehr oder weniger, als dass
Wageners Hintermänner oder Komplizen spätestens morgen früh wissen, dass er
nichts mehr ausplaudern kann. Und dass er die ganze Zeit über dichtgehalten
hat, können sie sich ohnehin ausmalen.«
»Stimmt, sonst hätten wir sie schon
längst hochgenommen. – Haben wir überhaupt Anhaltspunkte, wer hinter dem
Falschgeld in Berlin steckt?«
»Vage, Paul. Das Geld ist zuvor im
Zusammenhang mit Schwarzmarktaktivitäten aufgetaucht und jetzt unter den
Kassenbeständen mehrerer Berliner Geldinstitute. Wir versuchen natürlich, den
Weg der Blüten zu rekonstruieren. Aber es wird schwer werden, herauszufinden,
ob ein System dahintersteckt, und wenn ja, was für eins. – Wie gesagt, alle
aufgespürten Falsifikate sind von bestechender Qualität.«
»Also?«
Gleason spielte wieder mit dem
Kugelschreiber. »Wir brauchen verlässliche deutsche Informanten aus dem
Schwarzmarktmilieu. – Hör dich doch mal vorsichtig um.«
»Ich wüsste schon einige. Ich schätze die
zwar so ein, dass man sie kaum dafür gewinnen könnte, jemanden ans Messer zu
liefern, nur weil er CARE-Pakete verscherbelt, aber wenn es sich um
untergetauchte SS-Mörder wie Wagener handelt, stehen die Chancen besser. – Und
wir liegen doch mit unserer Vermutung nicht weit auseinander, dass Wagener kaum
allein in einem stillen Kämmerlein die Blüten fabriziert hat, oder?«
»Keineswegs, Paul. Keineswegs.«
»Wagener wurde übrigens im August 1943 zu
›besonderen Aufgaben‹ in die Reichshauptstadt versetzt. Das ging aus seiner
Personalakte hervor, die man hier im Berlin Document Center fand.«
Major Miller war eine Stunde später
wieder von dem baumlangen Militärpolizisten zum Ausgang der Föhrenweg-Villa
begleitet worden, als die Tür von Gleasons Büro aufging. Ein Mann in einem
grauen Anzug betrat den Raum und setzte sich zu Gleason an den Schreibtisch. Er
war aschblond, älter als der OSS-Mann, auch kleiner und überhaupt eine
unauffällige Gestalt, weder dick noch dünn.
»Nun, Richard, was hältst du von Millers
Plan?«
Richard Bloomsfield verzog das Gesicht.
»Ihr solltet mal bei Gelegenheit die Mikrofone hier im Zimmer austauschen.
Miller war gut zu verstehen, aber bei dir hat es immer gerauscht. Egal. Ich
glaube, ich habe trotzdem alles einigermaßen mitbekommen, was du gesagt hast.«
»Und?«
»Major Millers Plan ist gut. – Falls es
wirklich eine Naziclique ist, die die Blüten unters Volk bringt. Wir sollten es
dennoch keinesfalls versäumen, weiter ein Auge auf die Russen zu werfen. Dieser
Wassilinski trifft im Oriental ziemlich viele Leute, die mir mehr als
suspekt erscheinen.«
Gleason entnahm einer
Schreibtischschublade eine Liste, die Bloomsfield ihm gegeben hatte und die
ständig auch von Miller um Namen ergänzt wurde, und murmelte: »Brandermann…
Hofmann… Kellner… Meunier… Schulze. – Was ist eigentlich mit diesem Colonel Teasdale, der verkehrt
doch weiterhin regelmäßig im Oriental, wenn er in Berlin ist? Trinkt er
immer noch so viel?«
Richard Bloomsfield zupfte an seinem
Krawattenknoten. »Colonel Teasdale? Tja, ich habe neulich mal mit einem
britischen Kollegen über ihn gesprochen. Denen ist das Problem bekannt, aber da
der Colonel im Dienst keinen Tropfen Alkohol anrührt, liegt gegen ihn nichts
vor, disziplinarisch, meine ich. Außerdem wird er demnächst nach Malta
versetzt.«
»Und weshalb lässt er sich abends immer
so mit Gin volllaufen?«
»Der Kollege erzählte mir, dass Teasdale
vor zwei Monaten erfahren hat, dass auch sein zweiter Sohn, der in Nordafrika
als vermisst galt, tot ist. Seitdem trinkt er.«
»Spricht er gelegentlich mit
Wassilinski?«
»Nein, nie.«
Gleason schaute auf die Liste. »Leutnant
McCullen?«
Bloomsfield lachte. »Der kommt nur selten
ins Oriental, Bill. Kein Wunder. Gesprächspartner, mit denen er über
Hechtköder oder Angeltechniken fachsimpeln kann, sind da dünn gesät.«
Gleason schmunzelte. »Dabei ist Benno
Hofmanns deutsche Kundschaft eigentlich überwiegend vom Fach.«
»Äh, wie meinst du das?«
Gleason tippte auf die Liste. »Na,
Goldelse zum Beispiel fischt doch ziemlich erfolgreich nach Juwelen. Neulich
hat sie einem meiner Leute auf dem Schwarzmarkt am Schlesischen Bahnhof eine
Brosche angedreht. Angeblich eine aus dem Besitz von Eva Braun.«
»Und?«
»Ich glaube kaum, dass Frau Hitler
unechten Schmuck getragen hat.«
Als Edith
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