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Hungerkralle

Hungerkralle

Titel: Hungerkralle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Ebertowski
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Experten meinen, nein. Die Berliner Falsifikate
sind mit denen vom Vorjahr vergleichbar, chemische Analyse und so weiter. Die
russischen Nachdrucke aus Leipzig sind von nicht so bestechender Qualität.«
    »Also sind davon auch wieder welche
aufgetaucht.«
    »Sicher, unsere russischen Waffenbrüder
haben da keine Skrupel, nur sind es bei weitem nicht mehr so viele wie früher.«
    Major Miller setzte sich vor den
Besucherstuhl vor Gleasons Schreibtisch. Er traf sich regelmäßig mit dem
OSS-Mann und meinte, ihn recht gut einschätzen zu können. Gleason erzählte ihm
viel, aber nicht alles. Doch heute hatte Miller das Gefühl, dass Bill eine
weitere Überraschung für ihn bereithielt. Er sollte sich nicht täuschen. Gleason
begann mit seinem Kugelschreiber zu spielen, ein sicheres Zeichen, dass er noch
etwas auf Lager hatte.
    »Paul?«
    »Ja?«
    »Du erinnerst dich an die
Schwarzmarkthändler an dem Tag, an dem du Mister Charles wiedergetroffen hast?«
    »Sicher.«
    »Da war doch ein stiernackiger dicker
Mann dabei, der von mehreren der Inhaftierten als Lieferant der bei ihnen
gefundenen Reichsmarkblüten belastet wurde.«
    »Ich meine, er hieß mit Vornamen Adolf, richtig? Der
Nachname ist mir entfallen.«
    »Hübner, Adolf Hübner«, half der OSS-Mann
Millers Gedächtnis auf die Sprünge. »Ich hatte ihn ja am gleichen Tag noch nach
Frankfurt ausfliegen lassen, damit die Kollegen dort sich intensiv mit ihm
beschäftigen.«
    »Ich erinnere mich, Bill. Was ist mit
diesem Hübner?«
    Gleason lehnte den Kugelschreiber
behutsam gegen die bayerische Keramik-GI-Figur auf dem Schreibtisch. »Alles,
was er zugab, war, dass er das Falschgeld von einem Unbekannten bekommen hatte.
Ansonsten war er leider nicht sehr gesprächig.«
    »War?«
    »Ja. Er ist tot, erschossen bei einem
Fluchtversuch.«
    »Interessant. Und ich dachte immer, eure
Leute sind hyperpenibel, wenn es um Sicherheit geht.«
    Gleason überhörte den Seitenhieb
geflissentlich. »Es waren entschuldbare Umstände für die Kollegen. Und
schließlich ist er ihnen ja auch nicht entkommen. Wegen der Irrsinnskälte ist
vorgestern die Stromversorgung in dem Haus, wo er verhört wurde, exakt in dem
Augenblick zusammengebrochen, als ein Wärter ihn in seine Zelle zurückbringen
wollte.«
    Miller zog die Augenbrauen hoch. Gleason
griff wieder nach dem Kugelschreiber. »Ich will dir die Details ersparen, wie
er es geschafft hat, den Wärter zu entwaffnen und durch ein Toilettenfenster
zur Grundstücksmauer zu gelangen.«
    Miller nickte und ahnte, dass sich ein
paar Leute in Frankfurt deswegen einen gewaltigen Anschiss eingefangen hatten.
    »Wie dem auch sei! Der Posten im Garten
hat nicht geschlafen. Hübner hat auf ihn gefeuert. Unser Mann war besser.«
    »Zu gut?«
    Gleason starrte wieder nach draußen. »Er
hatte keine andere Wahl. Natürlich hätte ich es lieber gesehen, wenn er noch
leben würde, wie du dir vorstellen kannst.«
    »Dumm gelaufen.«
    »Das kannst du laut sagen. Hübner war ein
Volltreffer, sonst hätte er nicht so viel riskiert.« Bill Gleason warf den
Kugelschreiber auf den Schreibtisch. »Aber es kommt noch besser, Paul. Morgen
kannst du es garantiert in allen Zeitungen lesen. – Nach der Obduktion im
US-Hospital heute Morgen hat man Hübner ins städtische Leichenschauhaus
gebracht. Da war gerade ein Rudel Korrespondenten aller großen Zeitungen
Deutschlands eingetroffen, die einem Gerücht von Hungerkannibalismus nachgehen
wollten. Man hatte am Mainufer die Körper von zwei merkwürdig verstümmelten
Frauen in einer Ruine aufgefunden.«
    »So? Ein ähnlicher Verdacht wurde neulich
in der britischen Zone geäußert.«
    »Ich weiß. – Jedenfalls hat einer der
Journalisten zufällig Hübners Gesicht gesehen, weil beim Transport das Tuch auf
der Bahre verrutscht war. Der Journalist war während des Kriegs im Baltikum
stationiert. Er schwört Stein und Bein, dass unser Adolf Hübner niemand anders
ist als der berüchtigte SS-Sturmführer Adolf Wagener.«
    Wie elektrisiert richtete Miller sich kerzengerade
auf. »Was? Doch nicht etwa der ›Bluthund von Wilna‹?«
    Gleason nickte. »Genau der, Paul.«
    Miller überlegte fieberhaft, dann sagte
er: »Könnt ihr die Nachricht nicht einfach unterdrücken?«
    Gleason schüttelte den Kopf. »Das ist
leider unmöglich. Unser Hauptquartier hat viel zu spät davon erfahren, und dann
auch nur, weil dieser Journalist sich bei ihnen gemeldet hat. Nein, eine Zensur
würde nicht mehr rechtzeitig greifen. Die

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