Hurra wir kapitulieren!
sich im wesentlichen auf die AP-Meldung vom Vortag stützte. Ein Pariser Gericht habe 25 Angeklagte zu Strafen zwischen sechs Monaten und zehn Jahren verurteilt, die Anschläge auf verschiedene Ziele geplant hatten, darunter der Eiffelturm. Craig erwähnte in seinem Bericht auch, dass Menad Benchellali einen jüngeren Bruder namens Mourad hat, der von den Amerikanern in Guantanamo festgehalten und vor zwei fahren freigelassen wurde.
Was Craig nicht einmal erwähnte, war der Umstand, dass eben jenem Mourad Benchellali einen Tag zuvor die Ehre zuteil wurde, über seinen Fall in der »New York Times« schreiben zu dürfen, ohne auch nur mit einem Wort auf seine familiären Bindungen und die terroristischen Aktivitäten hinzuweisen, in die seine Familie verstrickt war.
Nun kann man nicht mit hundertprozentiger Sicherheit ausschließen, dass Mourad Benchellali das schwarze Schaf seiner Familie ist, dass er mit den Aktivitäten seines Vaters, seiner Mutter und seines Bruders nichts zu tun hat, dass er nur einen Abenteuerurlaub in Afghanistan verbringen wollte, dass er zufällig und gegen seinen Willen in ein Al-Qaida-Trainingscamp geraten ist und unschuldig von den Amis zweieinhalb Jahre festgehalten wurde. Aber auch dann wäre es nicht verkehrt gewesen, wenn die »New York Times« ihre Leser über diese Zusammenhänge aufgeklärt hätte, bevor sie jemand ein Op-Ed schreiben lässt, den sie nicht einmal als Pförtner ins Haus lassen würde.
Gefragt, warum die »New York Times« einen Text von Mourad Benchellali abgedruckt hat, ohne ihre Leser über die Hintergründe zu informieren, antwortete der zuständige Redakteur David Shipley: »Mr. Benchellali‘s article was about the treatment of detainees at Guantanamo. It was not about the crimes of his family, which he is not implicated in. Nor was it about his guilt, which he admits and for which he will have to answer at trial. The article made clear that Mr. Benchellali went to a Qaeda training camp and that he was sent there by his brother. To give an example: If a man accused of robbery wants to complain that he hasn‘t received a speedy trial or that he was mi-streated in prison, do we need to say that his sister and mother were criminals, too?«
Man könnte sagen, so was kommt in den besten Redaktionen vor. Eine Panne bei der schon ein Weile von Pech und Pleiten geplagten Qualitätszeitung vom Times Square. Man könnte diese Geschichte sogar zugunsten der »New York Times« interpretieren. Ein Verdächtiger gilt so lange als unschuldig, bis seine Schuld bewiesen wurde, in einem ordentlichen Verfahren vor einem ordentlichen Gericht. Al-Qaida-Trainingscamp hin, Familienbande her - der Junge könnte unschuldig sein. In Deutschland zum Beispiel reicht der Besuch eines Camps, in dem Terroristen ausgebildet werden, für eine Verurteilung nicht aus.
Warum aber geht einer in ein Al-Qaida-Camp? Weil er sich einen All-inclusive-Aufenthalt im Club Med nicht leisten kann? Weil bei der Heilsarmee die Suppe gerade ausgegangen ist? Weil er beim RTL-Dschungelcamp abgewiesen wurde?
Die Vorstellung, ein Unschuldiger könnte jahrelang festgehalten werden, ist ein Albtraum. Andererseits übersteigt die Idee, man könnte dem Terror nur mit rechtsstaatlichen Mitteln beikommen, die Grenze zum Irrealen. Es ist, als ob man die Feuerwehr auffordern würde, sich bei ihren Einsätzen an die Straßenverkehrsordnung zu halten und auf keinen Fall eine rote Ampel zu überfahren. Schon in Fällen wie dem von O. J. Simpson, der freigesprochen wurde, obwohl niemand daran zweifelte, dass er buchstäblich Blut an den Händen hatte, werden die Grenzen eines fairen Verfahrens klar. Gegenüber Terroristen »fair« zu sein, auf verdeckte Ermittlungen zu verzichten und im Verfahren alle Quellen offen zu legen, käme einem Verzicht auf eine Verfolgung gleich. Allgemein gilt: Je schlimmer das Verbrechen, das verhandelt werden soll, umso größer die Skrupel der Bedenkenträger. Heißen die Angeklagten Saddam Hussein oder Slobodan Milosevic, dann muss man nur bis zehn zählen, bis die Rollen vertauscht werden und die Ankläger sich rechtfertigen müssen, während die Angeklagten gegen das Unrecht protestieren, das ihnen widerfährt. Schon deswegen wünsche ich mir, dass Osama Bin Laden lebend erwischt und vor ein Gericht gestellt wird - um amnesty international die Gelegenheit zu geben, ein faires Verfahren anzumahnen.
Dass Terroristen im Grunde ihrer Seelen fehlgeleitete Idealisten sind, die nur ein wenig
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