Hurra wir kapitulieren!
zurückschrecken, damit es ihren Kindern im sozialen Fortkommen besser geht als ihnen«. Sie würden alles unternehmen, um ihre Kinder an Schulen mit einem möglichst kleinen Anteil an Ausländern zu schicken. Vor allem unter Migranten aus Vietnam habe Bildung »oberste Priorität«, deswegen seien die vietnamesischen Kinder »meistens sehr leistungsstark«, schon die zweite Generation der Vietnamesen sei »sprachlich und kulturell in Deutschland verortet«.
Man kann wohl ohne große empirische Studien davon ausgehen, dass die Vietnamesen ebenso wie die Türken und alle anderen Migranten nicht mit einem Business-Class-Ticket in Deutschland einschweben, dass niemand ihnen den roten Teppich zum Empfang ausrollt, dass sie aus kleinen Verhältnissen kommen und enorme Schwierigkeiten überwinden müssen, bevor sie in der Lage sind, eine Inszenierung von Claus Peymann am Berliner Ensemble zu verstehen. Warum schaffen es dann die Vietnamesen (wie die meisten anderen Asiaten), sich zu integrieren, obwohl auch sie in Ghettos und »Parallelgesellschaften« leben, zu Hause ihre Muttersprachen sprechen, im Wok kochen und natürlich auch dazu neigen, untereinander zu heiraten?
Vielleicht weil sie aus einer Kultur kommen, in der Arbeit und Lernen zu den primären Tugenden gehören, während es bei den Moslems aus der Türkei und den arabischen Ländern (natürlich mit Abstufungen) vor allem die Ehre, der Respekt und die Unterwerfung sind. Hier stößt eine Kultur des Fleißes und der Betriebsamkeit mit einer Kultur der Scham und der Schande zusammen, die auf jede »Provokation« beleidigt und aggressiv reagiert. Kaum denkbar, dass ein vietnamesischer Vater, dessen Sohn einen Lehrer angegriffen hat, das Verhalten mit dem Satz rechtfertigt: »Er musste sich nur verteidigen.« Was wirklich passiert ist: Ein 12 -jähriger türkischer Junge, wegen gewalttätigen Verhaltens schon öfter aufgefallen, schickt mit einem einzigen gezielten Faustschlag die 62 -jährige Lehrerin zu Boden, was seine Mutter als ein »Versehen« erklärt: »Mein Sohn hat nicht absichtlich geschlagen.«
Es ist diese Weigerung, Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen, das Neda Kelek beschreibt und das dazu geführt hat, dass fast jeder Täter das Opferprivileg für sich reklamiert. Er ist ein Opfer seiner Erziehung, der Gesellschaft, der Umstände - in Wirklichkeit ist er aber vor allem das Opfer der sozialpädagogisch dilertie-renden Kapitulanten, die ihm all das einreden, weil es die einfachste Art ist, mit dem Phänomen fertig zu werden.
Hinzu kommt, dass sich in den letzten Jahren eine Kultur der Gewalt und der Gewaltakzeptanz etabliert hat, was seltsam anmuten muss, weil es doch vor allem junge Menschen, Schüler und Lehrlinge sind, die sich auf Friedensdemos in PACE-Fahnen hüllen, »Gewalt ist keine Lösung!« und »No blood for oil« schreien. Aber das Bild führt in die Irre; man sollte nicht alle Friedensfreunde unter den Generalverdacht des Pazifismus stellen. Es kommt darauf an, wer bombt und tötet. Am Rande der Demos gegen den Krieg im Irak wird für den »irakischen Widerstand« gesammelt, dessen Terror Tausende von Irakern das Leben gekostet hat, normale Menschen, die auf einem Markt einkaufen oder in einem Cafe die Zeitung lesen wollten. Deren Blut darf vergossen werden, sie sterben für eine gerechte Sache. Einer der Wortführer des militanten Pazifismus in der Bundesrepublik begründet dies so: »Der irakische Widerstand mag grausam, nihilistisch und primitiv sein. Doch er hat die amerikanischen High-Tech-Hunnen in ihrem Vormarsch aufgehalten. Gäbe es den irakischen Aufstand nicht, stünden Bushs Truppen wahrscheinlich schon in Teheran.« Oder in Berlin- Friedrichshain.
Und dann ist da noch der legitime und revolutionäre Widerstand der Palästinenser gegen Vertreibung und Völkermord. Übrigens der einzige Völkermord in der Geschichte, bei dem die Bevölkerung nicht dezimiert wurde, sondern sich kräftig vermehrt hat - um den Faktor 9 . Wohl deswegen weisen Kommentatoren bei jedem Anschlag darauf hin, dass die Palästinenser keine anderen Mittel haben, um sich gegen das an ihnen begangene Un-
recht zu wehren. Auf deutschen Universitäten gibt es Vorlesungen und Seminare über die »Ethik des Terrors«, und sogar in der ARD und im ZDF ist gelegentlich von »Widerstandskämpfern« die Rede, wenn eigentlich nur Terroristen gemeint sein können, die sich in Cafes und Bussen in die Luft sprengen.
Dieselben Leute wundern sich
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