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Hurra, wir leben noch

Hurra, wir leben noch

Titel: Hurra, wir leben noch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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einmal gab, nur einmal geben würde.
    »Non, non, je ne regrette rien …«
    Ich auch nicht, dachte Jakob, nein, auch ich bedaure nichts, nichts, was ich getan habe seit damals, seit jener Nacht im Mai 1949, als der Major Assimow in meine Zelle getreten ist und gesagt hat: »Erschießen, lächerlich! Sie kommen mit mir nach Moskau!«

5
    »Das kann doch nicht wahr sein!« rief Jakob Formann, als er, begleitet von Major Assimow, den Mann erblickte, der aus der Tür der Datscha trat und ihnen durch einen verwilderten Garten entgegenkam.
    Sehr viele Blumen blühten im Garten dieser Datscha, die etwa vierzig Kilometer von Moskau entfernt am Rande eines idyllischen Wäldchens lag. Sie war aus Holz gebaut, zum Eingang führte eine Treppe aus ein paar Brettern empor. Es war schon sehr warm an diesem 14. Mai 1949 in Moskau und Umgebung.
    »Das ist ja nicht zu glauben!« rief Jakob, während der Mann die Holztür des Holzzaunes öffnete. Der Mann war der ehemalige Kommandant jenes Lagers bei Opalenica, aus dem Jakob sich und Jelena Wanderowa 1945 ›befreit‹ hatte, zusammen mit hundertfünfzig Kumpeln. »Was ich mich freu’, Sie wiederzusehen, Herr Major!«
    »Ja, man sieht es Ihnen an«, sagte, so sanft wie einstens, der Besitzer der Datscha, indem er zunächst Jakob und dann Assimow die Hand reichte. »Kommen Sie cherrein. Ich chabbe chinten im Garten kleinen Imbiß chergerichtet.« Die russische Gastfreundschaft sucht ihresgleichen, dachte Jakob ergriffen. »Major bin ich nicht mehr«, fuhr Blaschenko fort. »Ich arbeite in einem Ministerstwo. Wir treffen uns chierr, weil es niemand angeht, was wir chabben zu besprechen.«
    Jakob nickte. »In der Stadt ist es auch so stickig! Ein schönes Landhäuschen haben Sie hier, Gospodin Blaschenko, nein, also wirklich.« Er konnte noch immer russisch radebrechen, und Blaschenko hatte in der Zwischenzeit zu Jakobs Erstaunen sehr gut Deutsch gelernt. So verlief die folgende Unterhaltung in einem fließenden Zweisprachengestotter. Hinter der Datscha stand das Gras hoch. Unter einer Gruppe von hellen Birken hatte der Exmajor einen Tisch gedeckt. Jakob sah eine große Karaffe mit Orangensaft und einen ganzen Berg Kirschkuchen. »Das wäre aber wirklich nicht nötig gewesen, Gospodin Blaschenko«, sagte er gerührt. »So viele Umstände!«
    »Aber ich bitte Sie, es macht mir doch Freude, Cherr Formann. Bitte, setzen, ist gefällig.«
    Man setzte sich.
    Der Exmajor servierte und goß Saft in die Gläser.
    »Wunderbar«, sagte Jakob, der ohne zu warten als erster ein Stück Kirschkuchen in sich hineinschlang, mit vollem Mund.
    »Selber gemacht! Chabbe ich doch keinen, der machen könnte. Apropos, wie geht es unserer Jelena?«
    »Ich glaube, gut. Sie hat schlimme Erfahrungen im Westen gehabt, aber jetzt ist alles okay. Pardon, in Ordnung.«
    »Ist sie immer noch so schönn?«
    »Immer noch. Noch schöner. Wirklich, Gospodin Blaschenko, es tut mir ehrlich leid, daß ich damals im Lager mit ihr … daß ich … daß sie … daß wir beide …«
    »Nemmen Sie noch Stück Kuchen.«
    »… und daß wir ausgerissen sind. Sicher haben Sie Unannehmlichkeiten gehabt unseretwegen.«
    »Sicher.«
    »Große?«
    »Serr große. Aber jetzt nicht mehr, Sie sehen. Gett mir gutt. Wohnung in Moskau, Büro in Ministerstwo, Datscha chierr.«
    »Und ganz allein?«
    »Ganz allein. Werde auch bleiben allein. Frau wie Jelena kriege ich nie zweites Mal. Gibt nur einmal. Und sie ist weit weg …«
    Ganz plötzlich überfiel es Jakob: Nur einmal … weit weg …
    Der Hase! Jakob mußte die Augen schließen vor übergroßer Bewegtheit.
    Der Hase! Immer noch nicht habe ich … Ich bin ein Schwein, wahrhaftig!
    Eine Frau wie den Hasen gibt es auch kein zweites Mal! Und wie weit ist die weg! Nein, also, wenn ich hier lebend rauskomme, dann muß ich nach Theresienkron …
    »Sie sind mir nicht böse, Gospodin Blaschenko?«
    »Überchaupt nicht. Nurr Menschen, wenn schwach sind, werden böse. Ich bin nicht schwach, Cherr Formann.«
    »Da haben Sie recht«, sagte Jakob und dachte betrübt: der arme, einsame Kerl. Der glaubt das in seiner Schwerblütigkeit wirklich, was er da sagt. Weil es ihm guttut. Wahrscheinlich glauben alle Menschen, und auch ich, immer das, was ihnen am meisten nützt und am meisten guttut. Das ist wahrscheinlich die Erklärung dafür, warum ich nie habe glauben können, daß einer ein ganz und gar vollkommener Lump ist. Noch nicht einmal ein Politiker.
    Der Major Assimow räusperte sich und

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