Hurra, wir leben noch
darüber reden, Sie wissen es ohnedies alle, daß ich ein Selfmademan bin. Nach dem Krieg keinen Groschen. Dolmetscher bei den Amerikanern in Wien. Da hat eines Nachts ein junger Lieutenant einen Werwolf hereingebracht …«
Es wird sehr still an dem langen Tisch, die Musik spielt jetzt leise, so können es alle auch richtig hören, was Jakob da erzählt von dem weiblichen Werwolf, dem so schönen, ganz jungen, der doch diesem ganz jungen, unschuldigen Lieutenant, dieser Jungfrau, also, der hielt sie doch für einen Werwolf, hahaha, weil sie ihm, hahahaha, nein, also bitte nicht böse sein, daß ich das erzähle, aber es ist doch zu komisch, hahahaha, weil sie ihm im Bett den … das … in das …
Ach, Jakob, ach.
Du und Alkohol. Wir wissen es, was geschieht, wenn du zuviel davon genießt, du weißt es – und doch hast du dich wieder einmal vollaufen lassen und spürst nicht die Tritte, die dir Claudia gegen das Schienbein gibt, und bemerkst nicht, wie alles um dich vereist, wie die feinen Leute dich ansehen, als wärest du ein ekelerregendes Insekt, nein, du siehst es nicht, du merkst es nicht, du erzählst, nunmehr röhrend vor Lachen, in allen Details die Werwolf-Geschichte, obwohl sich Claudia fast den Fuß verstaucht beim Treten, du erzählst und erzählst, und dann fällt dir Brüssel ein und die ›Chatte noire‹ und der so schöne, so impotente Schieber Rouvier und die so schöne, so phantastische Stripperin, wie hieß sie doch gleich, egal, wichtig ist, was sie machte, nämlich …
»Monsieur Formann …« Stimme an Jakobs Ohr.
Dritter Anruf, höchste Dringlichkeit, Washington, Pentagon. Jakob hatte erst die Hälfte der köstlichen Eisspeise verzehrt. Doch was einer der Großen dieser Erde ist, der hat seine Verpflichtungen, der muß Tag und Nacht im Einsatz stehen, nicht wahr? Und dieser Maître de Maison hat ›Washington‹ genau so schön laut gesagt wie zuvor ›Moskau‹. Also wieder ins Haus. Wieder mit einem getreuen Freund geplaudert, der auf die Minute pünktlich war. Aufgelegt. Ein menschliches Rühren verspürt. Na, der viele Champagner muß einmal wieder raus, nicht wahr? Wo ist denn hier … Ah, da. Großer Gott, das ist ja ein Palast! Na, nun wollen wir uns mal erleichtern …
Als Jakob erleichtert an den Tisch zurückkam, sang eine Chansonnière. Wunderschön, dachte er benommen, wunderschön.
»Mm …«, machte Claudia und sah ihn mahnend an.
»Was gibt es denn, mein liebes Kind?«
»Mmmm … mmm …« Claudia sah jetzt auf Jakobs Hose. Ach so. Na, hab dich nicht so, liebes Kind. Der Reißverschluß der Hose ist offen. Hab’s vergessen, ihn zu schließen. Peinlich. Werde ich mich lieber schnell setzen … Jakob setzte sich schnell.
Es war nur kein Sessel da.
Ein überhöflicher Kellner hatte ihn zurückgezogen.
Belustigt fiel Jakob zu Boden.
Im nächsten Moment war er gar nicht mehr belustigt.
Im nächsten Moment rutschte nämlich das herrliche Damast-Tischtuch mit allem, was sich darauf befand, von der Tafel. Im Fallen hatte Jakob sich daran festgehalten und damit eine Katastrophe verursacht.
Als erschüttere ein plötzliches Erdbeben Saint-Jean-Cap-Ferrat, so schwankte plötzlich, wie es schien, die endlos lange Tafel. Und es stürzten um Gläser und Tassen und Terrinen, es krachten zu Boden Kerzenleuchter mit brennenden Kerzen, Teller, Tassen, Unterteller, Silberteller, Petitfours-Platten, Flaschen, Aschenbecher (gefüllt), Zigarren, Zigaretten, Pfeifen, Gläser, Bestecke, es ergoß sich auf die kostbaren Roben der Damen und auf die Smokings der Herren Champagner und Mokka, Sahne und Zucker, das herrliche Speiseeis mit dem herrlichen Erdbeersirup, dem roten, klebrigen, dickflüssigen, und Tabakasche.
Am ärgsten hatte es Lady Jane erwischt. Ihr war durch den von Jakob verursachten plötzlichen Ruck das meiste entgegengeflossen, entgegengeflogen, entgegengerollt. Sie sah aus wie ein Clown. Bis ins Gesicht waren ihr Mokka, Champagner, Eiscreme und Erdbeersauce gespritzt und tropften nun langsam ab oder zogen endlose Fäden.
Niemand sprach ein Wort. Das Orchester spielte weiter. Und was spielte das Orchester? Was sang die liebliche Chansonnière?
»Don’t know why, there’s no sun in the sky … Since my man and I ain’t together, it keeps raining all the time. Stormy weather …«
Nein.
Nein. Nein. Nein.
Das war gemein von dir, Hase!
Das hättest du nicht tun sollen. Das nicht. Nicht das. Jetzt ist es aus. Alles ist aus.
Nein, es war noch nicht
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