Hurra, wir leben noch
Los Angeles! Ich hole dich hier am Airport ab. Du kommst jetzt erst mal zu mir! Zu meiner Frau und mir! Und ruhst dich aus und machst Urlaub und erholst dich …«
»Also hör mal, George«, sagte Jakob entschieden, »das ist ja alles sehr lieb von dir, aber das kommt natürlich unter gar keinen Umständen in Frage!«
65
Zwanzig Stunden später lag er dann im Garten von George Misaras’ Haus an der Rossmoyne Street im nördlichen Stadtteil und Nobelvorort Glendale von Los Angeles in der Sonne und grunzte zufrieden.
»Bist schon ein feiner Kerl, Georgie-Boy«, sagte er. »Ich denke, ich werde mich wirklich ein bißl erholen bei euch …«
Und das tat er! Er fuhr Rad, spielte Tennis, schwamm und machte seine gymnastischen Übungen, begleitete das Ehepaar Misaras zu vornehmen Partys oder nahm an solchen vornehmen Partys teil, wenn das Ehepaar Misaras sie gab. Jakob wurde von Hand zu Hand gereicht. Kein Wunder – der Eklat seines (ogottogott!) ›Zusammenbruchs‹ hatte weltweit Furore gemacht.
Jakob schlief lange, aß gut und reichlich, ja, und so tief war er gesunken, daß er nun eine Menge las – darunter ein neues Buch von Klaus Mario Schreiber, schon ins Englische übersetzt, deutscher Titel UND JIMMY GING ZUM SONNENUNTERGANG – wiederum ein internationaler Bestseller! Tja, der Schreiber, dachte Jakob versunken lächelnd. Der hat eine Nase gehabt, der alte Saufaus, der ist rechtzeitig abgehauen und hat Schluß gemacht mit dem Saufen und der OKAY und lebt jetzt mit seiner Claudia in Monte Carlo und schreibt nur noch, was er will – und verdient sogar einen Haufen Geld damit! Jakob versank tiefer und tiefer in Träumereien, mit jedem Tag mehr. Misaras hatte recht gehabt: Es war allerhöchste Zeit gewesen, daß er mal ausspannte! So blieb er denn bei seinem ehemaligen MP -Freund und dessen schöner Frau, und zu Weihnachten sang er brav mit ›I’m dreaming of a white Christmas!‹ und bekam einen Haufen Geschenke – hauptsächlich Anzüge und Kleidung – und war sehr glücklich, auch noch zu Silvester. Auch noch zu Ostern. Da war er dann allerdings nicht mehr so glücklich.
Misaras merkte es.
»Was ist denn los mit dir?« fragte er Jakob.
»Ach weißt du«, erklärte dieser, »ich kann es selber nicht sagen. Ihr seid so gut zu mir. Es ist so schön bei euch. Alle andern können mich am Arsch lecken. Meinen alten, stillen Standpunkt habe ich wieder. Jeden Abend freue ich mich vor dem Einschlafen, wenn ich daran denke, wie dieses Herresschwein nicht schlafen kann vor Sorgen – so wie ich früher oft nicht habe schlafen können vor Sorgen –, weil er jetzt meinen ganzen Krempel auf dem Buckel hat und bei den Banken seinen dämlichen Schädel hinhalten muß. Und trotzdem …«
»Und trotzdem?«
»Du bist mir nicht böse, Georgie-Boy, wenn ich es dir sage?«
»Ich werde dir niemals böse sein, Jake, was immer du sagst! Also raus damit, was ist es?«
Und da kam es dann zum ersten Mal über Jakobs Lippen: »Siehst du, Georgie-Boy, ich fühl’ mich nicht zu Hause …«
»Ist etwas passiert? Habe ich etwas falsch gemacht? Hat meine Frau etwas falsch gemacht?«
»Richtig, nur richtig habt ihr alles gemacht! Das ist kein Gefühl, das sich gegen dich oder Los Angeles oder Kalifornien richtet. Es ist eigentlich überhaupt kein Gefühl. Es ist … so was Unruhiges, verstehst du? Du verstehst nicht, was ich meine … Aber ich fühl’ mich ganz einfach nicht zu Hause!«
»Natürlich verstehe ich dich! Man kann nicht zu lange bei einem Freund bleiben, nicht? Mojshe ruft mich schon seit Wochen an!«
»Mojshe?«
»Aus New York! Er hat da ein ganz phantastisches Penthouse am East River! Ich habe ihm versprochen, daß ich dich zu ihm schicke, wenn du hier die Nase voll hast!«
»Ich will aber gar nicht nach New York zu Mojshe!«
»Wo willst du denn hin? Sag es, und du bist dort! Sag irgendeinen Ort auf der Welt! Egal, wo! Na los, los, los, sag schon! Wo willst du hin?«
Jakob wand sich verlegen.
»Ja, also, ich weiß eigentlich gar nicht, wo ich wirklich hin will, Georgie-Boy …«
»Na, aber dann nix wie nach New York zu Mojshe!«
Einen Tag später war Jakob dann bei Mojshe.
Mojshe bewohnte wirklich ein wunderbares Penthouse. Er war mit einem hohen Rang aus der Armee ausgeschieden, und er hatte massig Geld gespart, denn er bekam dazu noch eine hohe Pension und verdiente mit seinen ›Encounter‹- und ›Sensibility-Training‹-Instituten mehr denn je. Eine richtige jiddische Momme
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