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Hurra, wir leben noch

Hurra, wir leben noch

Titel: Hurra, wir leben noch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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Waggons hetzten und die Pfeife der Lokomotive klagend schrie. »Die Großen mit den Devisen, das ist mein Rebbach, nach wie vor! Mein ursprüngliches Gebiet, nicht wahr? Ich arbeite schwer, mein Lieber. Dauernd unterwegs. Ab und zu muß ich halt auch so einen Devisenschieber hochgehen lassen! Da blutet mir jedesmal das Herz! Aber es lohnt sich! Ich habe interessante Verbindungen angeknüpft. Unsere Aktionen erstrecken sich bereits fast über ganz Europa.«
    »Was kann man dabei verdienen?«
    »Millionen, mein Bester, Millionen! Wir haben aber auch ein Millionen-Dollar-Gehirn als Boß, kann ich dir sagen. Der will dich sprechen. Und da sagst du nein?«
    »Wer hat nein gesagt?« erkundigte sich Jakob.
    (Gebt mir sieben Jahre Zeit …)
    »Du!«
    »Da mußt du dich aber verhört haben, mein Guter.« Jakob kroch wieder in seine Hosen und machte sich präsentabel. Was für eine unruhige Nacht … »Wo müssen wir hin?«
    »Nach vorn. Übernächster Wagen. Erste Klasse. Einzelabteil.«
    »Vorwärts, Kamerad«, sagte Jakob.
    Nachdem sie ihr Abteil versperrt hatten (es gab so viele kriminelle Subjekte in jenen Tagen!), schlingerten sie zum übernächsten Wagen vor. Hier klopfte der Franzl an eine Abteiltür, dreimal lang, einmal kurz, zweimal lang. Die Tür ging auf.
    »Da ist Herr Formann, Boß«, sagte Franzl demütig.
    Jakob sah in das Abteil. Der Boß lag im unteren (und einzigen) Bett. Der Boß war kein Mann. Der Boß war eine Frau. Eine Frau in einem sehr ausgeschnittenen roten Seidennachthemd, eine sehr schöne Frau mit hellblauen Augen und blauschwarzem Haar, das ihr über die bloßen Schultern fiel.
    Jakob klappte gegen das Gangfenster zurück.
    »Der Werwolf!« keuchte er.
    In der Tat, er war es.
    Präziser gesagt: Es war die Werwölfin.

27
    Auf flog die Tür der Wache.
    »’ttention!« schrie George Misaras und stand selber stramm. Jesus und Mojshe nahmen Haltung an. Jakob, als befreiter Österreicher, brauchte derlei Unfug (bis auf weiteres) nicht mitzumachen. Das erste, was er sah, war eine sehr hübsche junge Frau mit hellblauen Augen, blauschwarzem Haar, das ihr über die Schultern fiel, und Kurven, Kurven … Jakob unterdrückte einen Pfiff, zum Glück, denn unmittelbar hinter dem Mädchen erschien ein höchstens zwanzig Jahre alter First Lieutenant. Stichelhaarig, blond – wenn’s Gott dem Allmächtigen gefallen hätte, ein idealer SS -Typ. Der Leutnant hielt der sehr jungen Frau einen Arm brutal auf den Rücken gedreht. Seine andere Hand preßte dem beklagenswerten Geschöpf einen riesigen Colt in die Rippen.
    Das war in der Nacht zum 13. August 1946, die dem heißesten Tag dieses Jahres folgte. Es herrschte immer noch eine Affenhitze …
    Misaras salutierte übertrieben zackig. Der Leutnant war weiß vor Wut. Sofort schnauzte er los: »Sie sind der Ranghöchste?«
    »Yesssirrr, Lieutenant, Sir!«
    Der blonde Held der Neuen Welt ließ seine Blicke über die anderen Anwesenden schweifen. Dabei fiel ihm etwas auf.
    »Der beschissene Zivilist da, wer ist das?«
    »Unser Dolmetscher, Sir. Was kann ich für Sie tun, Sir, Lieutenant, Sir?« Der First Lieutenant mußte Gefühle empfinden, die selbst Napoleon niemals empfunden hat. Er schnauzte (aber sein Stimmbruch war immer noch nicht ganz vorüber): »Werwolf gefangen, Master-Sergeant!«
    »Wo ist er, Sir?«
    »Steht vor Ihnen, Master-Sergeant! Können Sie nicht sehen?«
    »Der … der … das Mädchen da, Sir?«
    (Erläuterung für jüngere Leser: Als der Krieg schon vollkommen verloren war, schickte Hitler auch noch alte Männer und Kinder an die Front, dieweilen er im tiefen Keller der Reichskanzlei saß. Bevor er sich dann tapfer umbrachte, gab er noch Befehl, daß auch nach der Niederlage junge Menschen als ›Werwölfe‹ weiterkämpfen und dem Feind größtmöglichen Schaden zufügen sollten. Ein paar Idioten taten das dann – ganz kurze Zeit.)
    »Da staunen Sie, was?« kläffte der First Lieutenant. »Jawohl, die elende Bestie hier ist ein Werwolf! Hätte mich um ein Haar erwischt. Aber ich war schneller!«
    »Wohl getan, Sir, Lieutenant, Sir«, sagte George unerschütterlich ernst. Mojshe, Jakob und Jesus sahen einander fassungslos an. Ein Irrer? »War schon in West Point stets schneller als jeder andere!«
    (West Point ist die amerikanische Militärakademie.)
    Ich wette, du hast in diesem fucked-up Krieg keinen einzigen Schuß gehört, du Milchgesicht, dachte George, während er sich ernst erkundigte: »Was hat das Mädchen – pardon, der

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